3,9 Mio. Euro für Forschung an musealen Sammlungen

Top 2 im Jahr 2016: Für neun kooperative Forschungsvorhaben von Museen und Hochschulen hat das Kuratorium der VolkswagenStiftung insgesamt rund 3,9 Mio. Euro bewilligt.

Mit der Förderung im Rahmen der Initiative "Forschung in Museen" will die Stiftung insbesondere kleinen und mittleren Museen ermöglichen, Ausstellungen wissenschaftlich fundiert zu konzipieren und ihrem anspruchsvollen Vermittlungsauftrag gerecht zu werden. Die intensive Zusammenarbeit mit Hochschulen und weiteren Forschungseinrichtungen ist dabei von zentraler Bedeutung. Die nun vom Kuratorium der Stiftung bewilligten neun Vorhaben werden im Folgenden kurz vorgestellt:

Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Dresden: Gläserne Figuren – Ausstellungsikonen des 20. Jahrhunderts. Ein interdisziplinäres Forschungskolleg zur langfristigen Bewahrung von Objekten aus Kunststoff (rd. 480.000 Euro)

Im Jahr 1930 gab es in Ausstellungen erstmals die "Gläsernen Figuren" zu sehen: Skelett, innere Organe, Blutgefäße und Nervenbahnen wurden erstmals nachgebaut und mit einem transparenten Kunststoff umhüllt, sodass ein dreidimensionaler Einblick ins Körperinnere möglich wurde. Die Figuren wurden im Deutschen Hygiene-Museum entwickelt und produziert und dienten in Ausstellungen weltweit der Vermittlung von Körperwissen, wurden im Laufe der Jahrzehnte jedoch erheblich beschädigt. Derzeit gibt es keine Konservierungs- oder Restaurierungskonzepte, auch die Analyse ihrer Herstellungs-, Ausstellungs- und Rezeptionsgeschichte ist noch nicht erfolgt. Das Forschungsprojekt soll im Rahmen eines am Deutschen Hygiene-Museum angesiedelten Promotionskollegs diese Lücke schließen. Unter anderem soll ein wissenschaftlich begründetes, tragfähiges Konservierungs- und Restaurierungskonzept für die "Gläsernen Figuren" entstehen, das sich auch auf andere museale Sammlungen übertragen lässt.

Kulturhistorisches Museum Görlitz: Hacksilberschätze im Oder-Neiße-Gebiet – Archäologisch-analytische Untersuchungen zur Herkunft des Silbers im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa (rd. 400.000 Euro)

Im Rahmen des Projekts soll die Herkunft von Münzen und Schmuck aus Silber erforscht werden, die aus der Zeit zwischen 940 und 1070 n. Chr. stammen und im deutsch-polnischen Oder-Neiße-Gebiet hergestellt wurden. Zur damaligen Zeit waren sie im Ganzen oder als sog. "Hacksilber" im östlichen und nördlichen Europa als Zahlungsmittel verbreitet. Durch die Analyse der Herkunft des Silbers und der Produktionsorte lassen sich Rückschlüsse auf die ostmitteleuropäischen Fernhandelsbeziehungen ziehen, die sich in dieser Epoche vom asiatisch-arabischen hin zum westeuropäischen, insbesondere ostfränkischen Raum verlagerten. Die kultur- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen, die das Projekt beantworten will, sollen unter anderem in einer Sonderausstellung präsentiert werden. Zudem werden in die Arbeit weitere kleinere Museen aus der Region eingebunden.

Ensemble der Gläsernen Figuren in der Sonderausstellung "Der Neue Mensch. Obsessionen des 20. Jahrhunderts" (1999) im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. (Foto: Deutsches Hygiene-Museum)
Museum und Park Kalkriese; Ludwig-Maximilians-Universität München; Deutsches Bergbau-Museum Bochum: Kalkriese als Ort der Varusschlacht? – Eine anhaltende Kontroverse (rd. 430.000 Euro)

Über die historische Einordnung des archäologischen Fundplatzes in der Region Kalkriese im Osnabrücker Land diskutiert die Wissenschaft seit vielen Jahren kontrovers. Stammen die Funde aus der Varusschlacht, auch bekannt als Schlacht im Teutoburger Wald, im Jahr 9 n. Chr., oder sind sie einer Schlacht unter Germanicus sechs Jahre später zuzuordnen? Für beide Interpretationen gibt es gute Argumente – jedoch wurde das archäologische Fundmaterial selbst bislang kaum in der Debatte berücksichtigt. Diese Lücke wollen die Projektpartner schließen: Sie wollen unter anderem Werk- und Gebrauchsspuren der Funde analysieren, archäometallurgische Untersuchungen vornehmen, um die beteiligten Legionen zuordnen zu können, sowie verschiedene Fundgruppen mithilfe digitaler Rekonstruktion erforschen. Die Ergebnisse sollen unter anderem in eine Sonderausstellung einfließen.

Universität Göttingen; Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin: Sammeln Erforschen – Geschichte und wissenschaftliche Aktualisierung der Göttinger Universitätssammlungen im Kontext museumstheoretischer und ethnologischer Diskurse (rd. 480.000 Euro)

Im Rahmen des Forschungsprojekts steht die Frage im Mittelpunkt, ob und inwiefern die Arbeit mit Sammlungsbeständen die Entwicklung wissenschaftlicher Fachdisziplinen angeregt und beeinflusst hat. Der Fokus liegt dabei auf den Disziplinen Kunstgeschichte, Archäologie, Geschichte und Ethnologie. Die Institutionalisierung dieser Fächer wurde bereits wissenschafts- und fachhistorisch untersucht, bislang jedoch ohne Blick auf den Zusammenhang mit entsprechenden Sammlungsbeständen und -praktiken. Mit Bezug auf das Königliche Academische Museum, das 1773 an der Universität Göttingen gegründet wurde, wird dieser Zusammenhang aus ethnologischer und wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive untersucht. Die Ergebnisse sollen unter anderem in einer Ausstellung dargestellt werden.

Glasaugen, die in Kalkriese gefunden wurden (Länge 1-2 cm). (Foto: Dave Ziegenhagen / Museum und Park Kalkriese)
Museum für Kunst und Kultur (Landschaftsverband Westfalen-Lippe); Universität Münster: Das Skulptur Projekte Archiv Münster. Eine Forschungseinrichtung für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit (rd. 420.000 Euro)

Alle zehn Jahre findet in Münster die internationale Ausstellung "Skulptur Projekte" statt. Seit 1977 können Künstler dabei an einem Ort ihrer Wahl innerhalb der Stadt ein künstlerisches Projekt realisieren. Das Museum für Kunst und Kultur umfasst eine Sammlung verschiedener Skulptur Projekte der vergangenen 40 Jahre. Im Rahmen des Forschungsprojekts sollen die Geschichte der Ausstellung, der Entstehung und Rezeption der Kunstwerke sowie kuratorische und institutionelle Entscheidungen erforscht werden. Geplant ist unter anderem die systematische Aufarbeitung der verbliebenen Objekte, die Pflege des Archivs sowie seine Analyse als Quelle künstlerischer Strategien. Die Projektergebnisse fließen nicht nur in das Archiv ein sondern werden auch der Öffentlichkeit in Münster in Ausstellungen und Vorträgen vorgestellt und zudem publiziert.

Technische Universität Bergakademie Freiberg: Bergbaukultur im Medienwandel – Fotografische Deutungen von Arbeit, Technik und Alltag im Freiberger Raum (rd. 350.000 Euro)

Die fotografische Sammlung des Stadt- und Bergbaumuseums Freiberg dokumentiert den Jahrhunderte lang intensiv betriebenen Erzbergbau der Region. Dies macht sie zum Teil der lokalen Erinnerungskultur. Das Forschungsprojekt basiert auf dieser Sammlung und nutzt sie, um die fotografische Darstellung der Regionalgeschichte seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu verstehen und im Zusammenhang mit der Wissenschafts- und Museumspraxis zu analysieren. Die Analyse der Fotos soll Aufschluss geben hinsichtlich von Geschichten, Bildstilen, Darstellung von Stadt und Landschaft, Techniken der Porträtkultur und Publikationsstrategien sowie einen Bogen schlagen bis hin zum gegenwärtigen Stadtmarketing. Auch das Spannungsfeld von Einzelbild und Kontext wird Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung sein. Die Ergebnisse werden unter anderem in einer Ausstellung sowie in Publikationen präsentiert.

Die Installation "Giant Poolballs" aus dem jahr 1977 von Claes Oldenburg am Aasee der Ausstellung "Skulptur Projekte". (Foto: Rüdiger Wölk via Wikimedia Commons CC BY-SA 2.5 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)
Ulmer Museum: Gestaltung ausstellen. Die Sichtbarkeit der Hochschule für Gestaltung Ulm: Von Ulm nach Montréal (rd. 440.000 Euro)

Die große Bedeutung der Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG) für die Geschichte der Gestaltung und ihre Vermittlung in der Nachkriegsmoderne ist unumstritten. Ihre Rolle wurde auch in vier in Ulm konzipierten Ausstellungen sichtbar, u. a. 1967 auf der Weltausstellung in Montreal. Das Archiv der von 1953 bis 1968 existierenden Hochschule enthält alle noch erhaltenen Tafeln und die Fotodokumentationen der Ausstellungen. Es ist eine singuläre Quelle für die Analyse der "Sichtbarkeit" der HfG, die im Zentrum des Forschungsprojekts steht. In dessen Rahmen ist neben der Auswertung der Bestände aus historischer bzw. kritisch-medienwissenschaftlicher Perspektive auch eine Konferenz zur "Öffentlichkeit der Gestaltung" geplant; zudem werden die Projektergebnisse in einem Onlineportal sowie in einer Wanderausstellung präsentiert.

Technische Universität Braunschweig: Meta-Peenemünde. Das Bild der rüstungstechnischen Versuchsanstalten im kulturellen Gedächtnis (rd. 430.000 Euro)

Peenemünde war zwischen 1936 und 1945 ein hochmodernes Technologie- und Rüstungszentrum zur Raketenentwicklung, bei dem der NS-Staat massiv Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene einsetzte. Das Historisch-Technische Museum will nun ein wissenschaftlich fundiertes Konzept erarbeiten, mit dem es der umstrittenen, vielschichtigen Erinnerungsgeschichte des Ortes und seiner eigenen Rolle als Vermittler gerecht werden kann. In einem zweiteiligen Forschungsprojekt wird anhand der Sammlung die Wahrnehmung von Ort und Ausstellungen durch Einheimische und Besucher untersucht, zum anderen wird analysiert, welche Technikmythen über die Peenemünder Versuchsanstalten im Kalten Krieg entstanden. Die Ergebnisse sollen in die Neukonzeption der Dauerausstellung einfließen.

Ausstellung in der Mensa der Hochschule für Gestaltung Ulm aus dem Jahr 1958. (Foto: Klaus Wille, 1958 / HfG-Archiv / Ulmer Museum)
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten: Material – Beziehung – Geschlecht. Artefakte aus den KZ Ravensbrück und Sachsenhausen (rd. 500.000 Euro)

Illustrierte Adress- und Notizbücher, bestickte Tücher, geschnitzte Miniaturobjekte aus Zahnbürsten oder auch Zigarettenspitzen – in den Depots der Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen liegen über 900 Artefakte von Gefangenen aus NS-Konzentrationslagern. Mit fortschreitender Zeit gewinnen diese materiellen Zeugnisse immer mehr an Relevanz. Im Rahmen des Forschungsprojekts sollen sie unter anderem hinsichtlich Herstellungsweise, Materialien, Motiven und Bedeutung sowie Nachnutzung und Sammlungsgeschichte vergleichend untersucht werden. Der Fokus liegt dabei auf der Untersuchung von sozialem Handeln unter Gewalt und Zwangsbedingungen. Die Ergebnisse sollen unter anderem in einer internationalen Tagung sowie der Konzeption einer Ausstellung münden. In der Förderinitiative "Forschung in Museen" können Museen bei der Durchführung von Workshops und Symposien unterstützt werden – Kooperationsprojekte können nicht mehr beantragt werden. Nächster Stichtag für die Anträge über Workshops und Symposien ist der 15. November 2016.

Link zu weiteren Informationen zur Förderinitiative "Forschung in Museen".

Von Häftlingen gefertigte Objekte in den Sammlungen der Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück. (Foto: MGR/SBG 2016)