Arts and Science in Motion – Bewegen durch Bewegung

In der Ausschreibung "Wissenschaft und Kunst in Bewegung" wurden vier Projektanträge bewilligt. Mit rund 700.000 Euro fördert die Stiftung Projekte über Museen, das Schreiben, Interaktionen und Utopien.

In Bibliotheken klaffen in Sachen Tanzgeschichte große Lücken. Wissenschaftlich genähert hat man sich dem Kulturgut Tanz bislang kaum. Nur selten fündig wird, wer etwa nach choreografischen Aufzeichnungen, Bildern oder Beschreibungen einzelner Choreografien sucht. Zudem existieren kaum geeignete Analysemethoden oder gar ein "Vokabular", mit dem sich Tanz allgemeingültig beschreiben ließe. Hingegen können wir in der Literatur, der Architektur und auch der Musik Stilformen und Details einzelnen Epochen oder Genres zuordnen und genau benennen; bereits in der Schule lernen wir, was ein Sonett ist, ein Roman, eine Novelle.

Mit dem Förderangebot "Arts and Science in Motion – Wissenschaft und Kunst in Bewegung", möchte die VolkswagenStiftung diese Lücke über die Kunstform des Tanzes schließen. Sie unternimmt damit den Versuch, dieses Kulturgut besser zu fassen und zugleich Wege zu finden, es wissenschaftlich und unter Einsatz moderner Technik und Aufführungspraktiken zu Wort kommen zu lassen. Den Ausgangspunkt bildete nach der ersten Ausschreibung ein Workshop mit rund 30 Forschenden und Kunstschaffenden im Herbst 2014, den die Stiftung gemeinsam mit der Universität der Künste Berlin veranstaltet hat. Vier der beantragten Projekte hat die Stiftung jetzt auf den Weg gebracht, sie werden insgesamt mit rund 700.000 Euro gefördert.

Vorstellung der geförderten Projekte

Filmaufnahmen eines Solotanzes von Ros Warby durch Svenja Kahn und Florian Jenett. (Foto: Jessica Schäfer für The Forsythe Company/Motion Bank)

Bewegung schreiben

Will man über Choreografien reden oder die Komposition von Bewegungen nachvollziehen, helfen Notationen, Skizzen oder vereinzelt auch Texte. Diese Möglichkeiten, mithilfe schriftlicher Aufzeichnung Wissen über Tanz und Bewegung zu sichern und zu vermitteln, stoßen jedoch früher oder später an Grenzen. Hier knüpft das Projekt "Bewegung schreiben" von Prof. Dr. Isa Wortelkamp von der Freien Universität Berlin und ihren sechs Kolleg(inn)en an: Sie interessieren sich beispielsweise dafür, ob sich die beobachteten Überlagerungserscheinungen beim Aufeinandertreffen beider kultureller Praktiken für ein "besseres" Schreiben über und von Bewegung nutzen lassen.

Ziel des siebenköpfigen Teams ist es, bestehende Verfahren des Schreibens von und über Bewegung in wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeitsprozessen zu analysieren. Die Projektpartner(innen) erhoffen sich davon, dass sich daraus Modelle für neue Formen des Schreibens entwickeln lassen. Dazu untersuchen sie im Besonderen Aufführungen und Choreografien, in denen das Verhältnis von Bewegung und Schreiben selbst zum Thema gemacht wird. In einer nachgelagerten Arbeitsphase wollen die Forscher(innen) auf der Grundlage erster Erkenntnisse solche performativen Schreibweisen konzeptionell entwickeln, die ein anderes Aufzeichnen künstlerischer Darstellungsformen wie Tanz ermöglichen.

Motion Together – Gemeinsame Bewegung

Das Phänomen des Entrainment bezeichnet Prozesse, in denen voneinander unabhängige rhythmische Systeme plötzlich interagieren, was zu Zuständen von Synchronisation und/oder rhythmischer Koordination führt. In der Chronobiologie ist diese Art der Interaktion beispielsweise als innere Uhr bekannt, die sich an die regelmäßig wiederkehrenden taktgebenden Umgebungsfaktoren anpasst, etwa dem Tag- und Nachtwechsel, Ebbe und Flut, Temperaturdifferenzen oder auch sozialen Interaktionen. In dem Projekt "Motion Together" überträgt Elizabeth Waterhouse von "The Forsythe Company" gemeinsam mit acht Kolleg(inn)en das Konzept des Entrainment auf das Feld des zeitgenössischen Tanzes.

Am Beispiel von William Forsythes Choreographie "Duo" werden die Projektpartner(innen) einerseits ein auf Planung basierendes, wechselnd synchrones und asynchrones Zusammenspiel untersuchen; andererseits werden sie eine Klang- und Bewegungsproduktion ohne externen Pulsgeber unter besonderer Berücksichtigung des Atmens untersuchen. Die Projektbeteiligen möchten dadurch kulturelle Praktiken wie Musik, Sprache, Handlung und Tanz, die sich verschiedentlich aufeinander beziehen, auf neue Weise analysieren, um ein interdisziplinäres Verständnis von Entrainment zu erlangen.

Die Projektpartnern(innen) möchten die Aufzeichnungspraxis von Tänzen wie hier des "La Matelote" von Raoul-Auger Feuillet verbessern. (Foto: Raoul-Auger Feuillet)

Museen bewegen durch Choreografie – Oder: Kein ausgestopftes Tier sein

Ausgestopfte Tiere, die zur Schau gestellt werden, finden sich vielfach in Museen. Die sorgfältig bearbeiteten Tierkörper besitzen ganz eigene Qualitäten, sie können den Betrachter auf vielfältige, auch ästhetische Weise, erreichen. Die Tänzerin Laurie Young, die Ethnologin Dr. Susanne Schmitt von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Prof. Dr. Anna Lipphardt von der Universität Freiburg fragen in dem Projekt "How to Not be a Stuffed Animal" danach, was es bedeutet, durch Bewegungen auf neue Art von bekannten Objekten berührt zu werden.

Die Forscherinnen untersuchen an naturhistorischen Museen, wie die ausgestellten toten Körper auf den Betrachter wirken. Sie interessiert: Wie können die von den Exponaten ausgelösten Empfindungen intensiv in ein partizipatorisches Ereignis münden? Sie nähern sich ihrem Thema über Formen der Bewegung – unter anderem mit der Sprache des Tanzes. Dabei gehen sie der Frage nach, wie unsere Art und Weise, über den und mit dem menschlichen Körper oder nichtmenschlichen Tierkörper zu denken, letztlich dabei helfen kann, neue Bewegungsformen zwischen Wissenschaft und Kunst zu kreieren. Ergebnisse sollen unter anderem Hörspaziergänge sowie neue, andere und frische Blicke auf die Tiere hinter Glas sein.

Working Utopias

In dem vierten Projekt "Working Utopias" besuchen Dr. Anke Strauß von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) sowie die Choreografin und Tänzerin Christina Ciupke Organisationen von Künstler(inne)n im gesamten Land. Sie wollen untersuchen, wie die Zusammenarbeit unter hoch individualisierten Bedingungen künstlerischer Produktion aussieht.

Sie eruieren am Beispiel von vier konkreten Künstlerkollektiven, ob bestimmte organisationale Entwürfe in ihren sozialen Dimensionen das Potenzial haben, utopische Entwürfe einer dauerhaften, solidarischen Arbeit zu entwickeln. In einem anschließenden "Knowledge Lab" sollen die Ergebnisse explorativ analysiert und mithilfe experimenteller Darstellungsformen – unter Rückkoppelung mit den Künstler(inne)n – festgehalten werden.

Die Projektpartnerinnen möchten untersuchen, wie bearbeiteten Tierkörper in Museen (hier: im Royal Museum for Central Africa in Belgien) den Betrachter auf ästhetische Weise erreichen können. (Foto: Lionel Allorge)