Die Suche nach dem Schönen
Schönheit begegnet uns überall – im Alltag, im Museum, im Konzert, beim Spaziergang. Wir sind seit jeher auf der Suche nach ihr, sie kann uns glücklich oder traurig machen, zufrieden und entspannt. Bereits die Menschen in der Antike beschäftigten sich mit dieser scheinbar unsichtbaren Kraft. "Die Seele des Menschen ist dem Schönen zugeneigt", erkannte Platon und machte sie zum Ausgangspunkt seiner Ideenlehre. Aber was ist dieses Schöne überhaupt? Erste Antworten kann uns die Ästhetik, die Lehre des wahrnehmbaren Schönen, geben. Sie beschäftigt sich mit den Einflüssen, die darüber entscheiden, wie wir Menschen unsere Umgebung wahrnehmen. Auch moderne Wissenschaften wie die Psychologie oder die Neurowissenschaften setzen sich inzwischen mit dem Thema auseinander und fragen, was in unserem Körper eigentlich passiert, wenn wir etwas Schönes wahrnehmen. Aber lässt sich wissenschaftlich überhaupt erklären, wie und warum wir etwas schönfinden? Über diese Frage und die Sehnsucht, das Schöne zu erklären, diskutierten die Experten im Schloss Herrenhausen bei dem Forum Mensch – Natur – Technik. "Wohnst Du noch, oder lebst Du schon" Durch die Sprache versucht Prof. Dr. Winfried Menninghaus dem Geheimnis der Schönheit auf die Spur zu kommen. In seinem Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main werden dafür auch schon mal Gedichte von Rainer Maria Rilke umgeschrieben, um die Änderung der Wirkung bei Probanden zu testen. Im ersten Impulsvortrag des Abends erklärte der Literaturwissenschaftler anhand mehrerer Beispiele, wie allein der Aufbau von Sprache unsere Wahrnehmung beeinflusst.
"Wohnst Du noch, oder lebst Du schon" – mit diesem Slogan wirbt ein schwedisches Möbelhaus erfolgreich für seine Produkte. "Das sind syntaktisch unvollständige Sätze", erklärte Menninghaus und ergänzte: "Damit wir etwas schön finden sollen, muss es sich aber von der Norm unterscheiden." Anhand des Sprichworts "Planeten sind üble Propheten" zeigte der Wissenschaftler beispielhaft, welche rhetorischen Stilmittel die Redensart im linguistischen Sinne enthält: eine kunstvolle Kürze, genannt Brevitas, einen Reim, ein Metrum und eine Metapher. Solche Phänomene machten den ästhetischen Reiz der Sprache erst greifbar, sagte Menninghaus. Ändert man einzelne Elemente, entfernt etwa den Reim, in dem man "Planten" durch "Sterne" ersetzt, sinkt die Wirkung. Mit dem sogenannten quantitativen Selbstähnlichkeitskoeffizient, der sich aus derartigen Versuchen ergibt, könne man heute mit einer Genauigkeit von bis zu 60 Prozent die Prägnanz berechnen, erklärte der Forscher. Aber: "Das Modell zeigt auch, was man erklären kann, und was nicht." Eine große Zahl von Einflüssen Auch Prof. Dr. Thomas Jacobsen versucht in seiner Forschungsarbeit in der Hamburger Helmut Schmidt Universität die Wahrnehmung von Schönheit zu systematisieren. Dazu zeigte der Psychologe in seinem Vortrag zunächst ein Schaubild, das die Vielzahl von Einflüssen und ihre Wechselwirkungen auf unsere Wahrnehmung und Beurteilung darstellt. Manche, wie die biologischen Gegebenheiten, verändern sich nicht. Andere Faktoren, etwa die geschichtliche, kulturelle Entwicklung, schon, wie der Wissenschaftler anhand eines Beispiels aus Kandinskys Farbenlehre erläuterte. Auch das Zusammenspiel von Person und Situation sei für die Wahrnehmung entscheidend. Im zweiten Teil gab der Psychologe eine Einführung in die Psychophysik. Aus Messungen der Hirnströme zieht die Wissenschaft dabei Erkenntnisse zur Beurteilungsweise des Menschen. Bei einem Versuch mit unterschiedlichen grafischen Mustern wurden Probanden nach Symmetrie und Schönheit befragt. "Die Messungen schlugen bei der Schönheit bereits nach einer Drittelsekunde aus", berichtete der Wissenschaftler. Erst danach hätte eine bewertende Kategorisierung eingesetzt. Bei der Frage nach der Symmetrie wurden hingegen ganz andere Bereiche des Gehirns aktiv. Hier gehe es um eine rein objektive Beurteilung, die bei allen Menschen nahezu identisch sei, sagte Jacobsen. Durch eine Neurolokalisation, eine lokale Zuordnung der Aktivitäten im Gehirn, konnte schließlich gezeigt werden, dass es tatsächlich unterschiedliche Bereiche waren, die je nach Fragestellung aktiv wurden. "Das interessiert nur L'Oréal" Dass Messungen und empirische Untersuchungen bei der Suche nach der Schönheit allerdings höchst umstritten sind, zeigte sich bei der anschließenden Podiumsdiskussion, die Rabea Rentschler, Redakteurin des Magazins "Gehirn und Geist", moderiert hat. Mit Prof. Dr. Michael Diers, Professor für Kunstgeschichte an der Hamburger Hochschule für bildende Künste und der Berliner Humboldt Universität, und Dr. Scott de Lahunta, Projektleiter des "Motion Bank Projects" der Forsythe Company, äußerten sich Vertreter der Kunst zum Thema – und übten teils harsche Kritik.
Künstler hätten schon lange ergebnislos versucht, die Wirkung ihrer Werke zu messen – "und jetzt sollen Gehirnströme Antworten geben", konstatierte Diers. "Mein Begriff von Poesie oder Kunst trifft das in keinem einzigen Punkt." Außerdem sei es in den Vorträgen ja auch wenig um Schönheit gegangen, sondern vielmehr um ästhetische Reize. Die Frage nach der Schönheit sei in der Kunst ohnehin schon lange nicht mehr relevant. "Wann ein Gesicht schön ist, das interessiert vor allem L'Oréal." Die Kräfte sollen sich verbinden Menninghaus erwiderte, dass ihm klar sei, dass nicht jedes Kunstwerk schön sein müsse, sondern auch schockierend oder herausfordernd sein könne. Die empirische Forschung sei auch nicht dazu da, um ein einzelnes Kunstwerk von allen Seiten zu erfassen. "Kunst- oder Literaturgeschichte stehen zu ihr überhaupt nicht in Konkurrenz ", machte der Sprachwissenschaftler deutlich. Vielmehr sollten sich die Kräfte verbinden. Das sah auch Jacobsen so. "Beide Ansätze alleine greifen zu kurz", meinte er. Erst in der Kombination könnten sie ein ganz gutes Abbild des Rezeptionsphänomens geben.