Förderpreis: Opus Primum feierlich verliehen
Einer der größten Skandale der Nachkriegsgeschichte ist, dass dutzende NS-Verbrecher ins Ausland geflohen sind und dort – wenn überhaupt – unzureichend strafrechtlich verfolgt wurden. Bislang wurden hauptsächlich die Geschichten einzelner NS-Täter historisch erforscht. "Ich war selbst überrascht, als ich anfing zu recherchieren, dass diese Thematik bisher noch nicht im Ganzen angegangen wurde", erklärt Daniel Stahl, der am 7. November den Förderpreis Opus Primum der VolkswagenStiftung erhalten hat. In "Nazi-Jagd", das auf der Dissertation Stahls basiert, wählte er ebendiesen Ansatz, der als übergreifende Analyse ein Novum auf diesem Gebiet darstellt. Die Auszeichnung "Opus Primum" wird jährlich für eine deutschsprachige Publikation hoher wissenschaftlicher Qualität vergeben, die einem breiteren Publikum verständlich ist. "Ich denke, dass alle Arbeiten, die darüber reflektieren, wie eine Gesellschaft sein sollte, auch lesbar sein müssen", beschreibt der Historiker sein Werk. Die Herangehensweise des Autors spiegelt sich auch in der Begründung der Jury wider: "Die Stärke des Autors liegt in der hohen inhaltlichen und stilistischen Souveränität, mit der er die unterschiedlichen Motive der über Generationen hinweg andauernden Ermittlungen zur Ahndung von NS-Verbrechen herausarbeitet. Die Darstellung sowohl der wechselnden Interessenlagen als auch der Kontinuitäten von Funktionen und Funktionsträgern ist mit detailreichen Quellen unterfüttert." Das Gremium hat das Werk von Daniel Stahl aus rund 50 Einsendungen ausgewählt.
Auch Michael Kloft, Laudator des Abends und der Leiter der Abteilung "History" bei Spiegel TV, weiß die Arbeit des Forschers zu würdigen: "Daniel Stahl hat mit Akribie und wissenschaftlichem Verständnis nicht nur den Fall Priebke rekonstruiert. Er hat auch eine Vielzahl anderer NS-Verbrecher in Südamerika verfolgt. Damit hat er den politischen Wandel von der Ohnmacht, mit den NS-Verbrechen umzugehen, hin zu einer Aktiven juristischen Auseinandersetzung mit den Schuldigen nachgezeichnet."
Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung und Vorsitzender der Opus Primum Jury, fügt hinzu: "Die Autorenschaft dieses Buches stellt einen Glücksfall dar, denn Daniel Stahl ist in Südamerika aufgewachsen und erzählt aus dieser Perspektive. Mit seinem Buch macht er zudem deutlich, dass die Thematik nicht in den 60er Jahren beendet wurde, sondern uns auch heute noch betrifft."
Wofür Stahl einen Teil seines Preisgeldes in Höhe von 10.000 Euro einsetzen kann, weiß er schon jetzt: "Eine Sache, die ich unbedingt tun möchte, ist: viele Bücher kaufen! Mein neues Thema heißt 'Rüstungsexporte im 20. Jahrhundert' und das macht es dringend notwendig, viel Literatur zu beschaffen."
Die Verleihung von Opus Primum fand im Rahmen eines Gala-Abends im Schloss Herrenhausen in Hannover statt, an dem auch der NDR Kultur Sachbuchpreis verliehen wurde. Er ging in diesem Jahr an Ronald Reng für sein Buch "Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga". Für musikalische Untermalung des Abends waren der Pianist Igor Levit sowie der Akkordeon-Virtuose Enrique Ugarte zu Gast.
Der nächste Stichtag für Bewerbungen um den Förderpreis Opus Primum ist der 15. August 2014.
Literaturangabe
Daniel Stahl: Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen. Reihe: Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (Hg. von Norbert Frei); Bd. 15. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 430 Seiten. 34,90 Euro (D).
Informationen zum Preisträger von Opus Primum
Daniel Stahl wurde 1981 in Paraguay geboren. Er ist dort in einer Siedlung aufgewachsen, die von russlanddeutschen Mennoniten gegründet worden war. Nach seinem Schulabschluss hat er zunächst Geschichte in Asunción studiert, kam 2003 jedoch zum weiteren Studium nach Deutschland.
Von 2009 bis 2011 war Stahl Stipendiat der Gerda Henkel Stiftung und wurde 2012 an der Universität Jena promoviert; seine Dissertation trägt den Titel "Nazijagd. Die justizflüchtigen NS-Täter in Südamerika und die Auseinandersetzung mit staatlichen Gewaltverbrechen seit 1945".
Seit 2012 arbeitet Stahl an der Universität Jena als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.