Halbzeit für Rettungsbündnis "Kunst auf Lager"

Das 2014 gegründete Bündnis zur Erschließung und Sicherung von Museumsdepots legt seine dritte Bilanz vor - und weitet sich aus.

Der Aktionsradius von "Kunst auf Lager" breitet sich weiter aus. Das Bündnis zur Erschließung und Sicherung von Museumsdepots war zu Beginn vor allem im Norden Deutschlands aktiv. Mittlerweile kann es auf ein flächendeckendes Engagement der beteiligten Einrichtungen über elf Bundeländer verweisen. Im Rahmen ihrer individuellen Förderprogramme unterstützten acht beteiligte Partner, darunter auch die VolkswagenStiftung mit ihrer Förderinitiative "Forschung in Museen", im vergangenen halben Jahr 26 neue Fördervorhaben mit über 3,6 Mio. Euro. Damit sollen dringend notwendige Maßnahmen in den Bereichen Restaurierung und Konservierung ermöglicht, Lagerbedingungen verbessert sowie die Inventarisierung und wissenschaftliche Aufarbeitung von in Vergessenheit geratenen Kulturgütern in öffentlichen Sammlungen gefördert werden. Einen wichtigen Schwerpunkt stellt dabei die Unterstützung von Forschungsvorhaben der Museen dar. Sie werden vor allem durch die VolkswagenStiftung, die ZEIT-Stiftung, die Gerda Henkel Stiftung und die Wüstenrot Stiftung gefördert. Die VolkswagenStiftung stellte allein 2,5 Millionen Euro für sechs Kooperationsprojekte von Museen und Hochschulen bereit, darunter in München die Erforschung bislang unveröffentlichter Schätze aus dem alten Ägypten oder die wissenschaftliche Untersuchung einzigartiger Objekte der Hinterglasmalerei in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung. Als neuer Bündnispartner ist im Bereich Forschung der Museen auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung aktiv, das 9 Millionen Euro Fördermittel für neun Verbundprojekte bereit stellte, die im Frühjahr im Rahmen der Bekanntmachung "Sprache der Objekte" an den Start gingen. Eine Übersicht mit Kurzbeschreibungen aller 35 aktuellen Fördervorhaben finden Sie zum Download unter Förderentscheidungen Kunst auf Lager. Weitere Förderentscheidungen, auch der nicht genannten Partner, sind derzeit in Vorbereitung.

Das Vorhaben von Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim und LMU München befasst sich mit Objekten aus dem antiken Hermopolis Magna (Tuna el-Gebel, Mittelägypten) wie diesem Relief aus der Kultkapelle Ptolemaios' I (Kalkstein, bemalt. Ptolemäerzeit, um 295 v. Chr. Pelizaeus-Museum, Inv.-Nr. PM 1883). (Foto: Sh. Shalchi, Roemer- und Pelizaeus-Museum)

Die aktuellen Vorhaben der VolkswagenStiftung

Am Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München widmen sich die Projektpartner der Aufarbeitung von bislang unveröffentlichten Objekten aus Hermopolis Magna, der Hauptstadt eines Verwaltungsbezirks im alten Ägypten, sowie von Funden aus dem zugehörigen Menschen- und Tierfriedhof. Ihre zentrale Frage lautet: Wie lässt sich die altägyptische Lehre von der Entstehung der Welt sowie die Theologie des Kultzentrums der Gottheit Thot mithilfe der archäologischen Fundstücke beschreiben? Die Forscher erhoffen sich darüber hinaus ein besseres Verständnis des altägyptischen Tierkults. Die Projektergebnisse sollen in einer Ausstellung in Hildesheim und Ägypten münden, unter anderem mit einer 3D-Rekonstruktion einiger unterirdischer Kapellen für Ritualtiere.

Das Braunschweigische Landesmuseum sowie die Universität Göttingen wollen befestigte Herrschaftssitze der Bronzezeit als Kommunikationsknotenpunkte untersuchen. Sie ziehen  Fundstücke einer Fundstätte im Kreis Helmstedt heran, um diese europaweit vernetzten Lebenswelten zu analysieren und bronzezeitliche Siedlungen zu rekonstruieren. Das Ziel: Aufschluss erhalten über die Zusammensetzung der Bevölkerung, über den Verlauf von Kommunikationstrassen und die Formen regionaler und überregionaler Vernetzung. Damit sollen Rückschlüsse über den Umgang bronzezeitlicher Gesellschaften mit Fremden und Fremdem möglich werden.

Schweinswale, Seehunde und Kegelrobben sind zunehmend gefährdet, z. B. durch Schadstoffe, Fischerei und globale Erwärmung. In einem Forschungsprojekt der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, weiteren deutschen Museen und Universitäten sowie kooperierenden Museen in Dänemark und Schweden sollen Parameter erstellt werden, um den Gesundheitszustand mariner Säugetiere über lange Zeit beschreiben zu können. Die Ergebnisse sollen u. a. in einer Wanderausstellung in den verschiedenen beteiligten Museen präsentiert werden.

Das Projekt der Universität Bayreuth (Iwalewahaus) sowie dem Museum der Weltkulturen Frankfurt am Main basiert auf Sammlungen der afrikanischen Moderne, bestehend aus Gemälden, Skulpturen und Grafiken aus den frühen 1940er Jahren bis in die späten 1980er Jahre (schwerpunktmäßig aus Nigeria und Uganda). Die Forscher wollen der These nachgehen, dass verschiedene Narrationen der afrikanischen Kunstgeschichte in den Sammlungen eingebettet sind, nämlich einerseits die der Künstler(innen) und andererseits die der Sammler(innen) und wollen Aufschluss über die Rezeption afrikanischer Kunstgeschichte in Deutschland erhalten.

Kernthema eines Projekts des Historischen Museums Frankfurt am Main sowie der Universität Paderborn ist die interpretierende Kleidungsforschung, die sich mit Schnittformen, Nahtverläufen und Stoffen der Kleidung aus der Sammlung des Historischen Museums Frankfurt aus den Jahren 1850 bis 1930 befasst. Zum Beispiel reduzierten sich in den 1920er Jahren die Kleiderschichten der weiblichen Kleidung und der Körper – und die Beine wurden sichtbar. Anhand der Kleidung lassen sich also Rückschlüsse über Bewegungsspielräume und Bewegungsformen ziehen. Zudem bildet das Projekt eine Grundlage für neue Präsentationsformen von Textilien in Museen.

Das Stadtmuseum Penzberg, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung sowie die Bayerische Staatsgemäldesammlungen untersuchen die Technik der Hinterglasmalerei, also das rückwärtige Bemalen von Glas mit einem seitenverkehrt angelegten Bild. Sie ist vor allem aus der Volkskunst bekannt und wurde über lange Zeit von Forschern mit Unkenntnis, Missverständnis und teilweise Geringschätzung begegnet – dabei war sie keineswegs nur ein Randphänomen. Die Künstler des "Blauen Reiters" haben sie Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegriffen, danach verbreitete sie sich weiter. In dem Projekt werden Hinterglasbilder interdisziplinär untersucht.

Hintergrund "Kunst auf Lager"

Dem Bündnis "Kunst auf Lager" gehören derzeit 14 private und öffentliche Einrichtungen an, die sich bereits seit Jahren für die Erschließung, Erforschung und Sicherung öffentlicher Sammlungen einsetzen und ihrem Engagement seit Februar 2014 eine gemeinsame Stimme geben. Durch die Aufarbeitung, Instandsetzung und wissenschaftlichen Erforschung wertvoller Objekte aus den Museumsdepots wird ihre Erst- oder Neu-Präsentation in Museen und auf Online-Portalen erst möglich. KUNST AUF LAGER möchte dieses Thema in die Öffentlichkeit tragen, weitere Förderer motivieren, sich dem Bündnis anzuschließen und Politik und Verwaltung davon überzeugen, Zeit und Geld in die nicht sichtbaren Fundamente der Museen zu investieren. Im dezentral organisierten Bündnis entscheiden die Stiftungen gemäß ihrer individuellen Förderrichtlinien und –fristen. Die Fördermaßnahmen richten sich an Kunstmuseen ebenso wie an Heimat- und volkskundliche, naturwissenschaftliche und technische Museen. Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Bündnisses Kunst auf Lager.