Insel im Nachrichtenstrom – Herrenhausen Late macht Trumps Wahlkampf zum Thema
Wie sind die USA an Donald Trump als Präsidenten geraten? Ist es an der Zeit, nach Fehlern im Wahlsystem zu suchen? Was muss und was kann eine Demokratie aushalten? Veranstaltungsbericht zu Herrenhausen Late im Schloss Herrenhausen am 9. Februar 2017, veranstaltet von der VolkswagenStiftung in Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover.
Konfrontation und Beeinträchtigung
Vor Donald Trump gibt es kein Entrinnen. Selbst zurückhaltende Mediennutzer sehen sich täglich mit neuen Nachrichten, Kommentaren und Analysen zum 45. US-Präsidenten konfrontiert. Manche sind besorgniserregend, andere kaum zu fassen. Am Tag nach Christiane Lemkes Vortrag bei Herrenhausen Late "ÜberTRUMPft! Wie die US-Wahlen gewonnen wurden" beklagt Axel Hacke im Magazin der Süddeutschen Zeitung: "Ich kann Donald Trump nicht vergessen. Immerzu muss ich an ihn denken." Und spitzt dann zu: "Es ist furchtbar. Es beeinträchtigt mein Leben." Damit bringt er ein aktuelles Alltagsgefühl auf den Punkt, das wohl in Hannover viele bewog, sich die offenbar aus manchen Fugen geratene Welt von einer Politikwissenschaftlerin erklären zu lassen.
Puzzle und Überblick
Prof. Dr. Christiane Lemke ist Leiterin des Arbeitsbereichs Internationale Beziehungen am Institut für Politische Wissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Sie verbrachte während des vergangenen US-Wahlkampfs einige Wochen im Rahmen einer Gastprofessur an der University of North Carolina – wie bereits während der vier vorangegangenen US-Wahlkämpfe. "Ich hatte mir vorgenommen, die Zeit bis zur Wahl von Hillary Clinton in den USA zu verbringen", seufzt sie. Und ergänzt: "Was dann wie ein großes Experiment schiefging, ist für mich bis heute ein großes Puzzle geblieben." Damit spricht sie einerseits den meisten Besuchern aus dem Herzen. Andererseits bietet sie ein wenig Überblick beim Zuordnen der Teile an: "Die Politikwissenschaften versuchen, Hintergründe aufzuklären."
Innehalten und Fundament
Es ist wohl die Erwartung dieses ruhigen, analytischen Blicks, die über 500 Menschen ins Schloss Herrenhausen zieht. Die Sehnsucht nach Klarheit ist groß. Es geht dabei gar nicht so sehr um neue Erkenntnisse, vielmehr um eine gute Zusammenfassung, ein Innehehalten, das erlaubt, Zusammenhänge wahrzunehmen und Gefühle so zu fundieren, dass sie Meinungen ermöglichen. Christiane Lemke wirft ihren Blick buchstäblich von oben auf die USA und identifiziert sehr unterschiedliche Stimmungen in einzelnen Regionen und Bundesstaaten. "Trump machte sich das Wahlmänner-System zunutze und versuchte, so viele Staaten wie möglich zu gewinnen", erläutert Lemke, "so konnte er die Wahl trotz Clintons Mehrheit der Wählerstimmen für sich entscheiden."
Traum und Enttäuschung
In urbanen Zentren und Küstenregionen, so Christiane Lemke, stünden eher Werte wie Toleranz, Freiheit und Weltoffenheit im Mittelpunkt, im Landesinneren eher Religion, Unabhängigkeit und Traditionen. "In dieser kulturellen Spaltung entscheidet die Wahrnehmung des eigenen Lebensstils", führt Lemke aus, "kosmopolitische stehen gegen nationalistische Orientierungen." Schließlich entscheide die Enttäuschung der oft hohen Erwartungen. Lemke erläutert: "Wer hart arbeitet, wird auch ein gutes Leben führen können – diese Formel des American Dream gilt längst nicht mehr für alle." Gerade im sogenannten Rust Belt, dem Gürtel der ehemaligen Industriestaaten, dränge die Globalisierung traditionelle Arbeitgeber aus Kohle-, Stahl- und Automobilindustrie zurück.
Versprechen und Sprache
Die so Abgehängten seien ohne staatliche Hilfen auf sich gestellt: Gewerkschaften, früher Rückgrat der demokratischen Partei, verlören an Einfluss – und Rechtspopulisten stießen mit ihren Versprechen auf fruchtbaren Boden. Christiane Lemke legt Wert darauf, dass Trump nicht in einer Reihe mit autokratischen Herrschern wie Putin oder Erdogan stehe: "Seine Strategien sind denen europäischer Rechtspopulisten wie Le Pen, Blocher oder Wilders viel näher." Dazu zählten eine behauptete Nähe zum Volk, das über soziale Medien ungefiltert adressiert werde, und eine einfache Sprache, die komplexe Hintergründe vermeide. "Ein Abwägen von Argumenten bleibt aus", so Lemke, "und damit wird ein Kern der Demokratie ausgehebelt."
Korrektiv und Kritik
"Lässt sich Trumps Politik einhegen?" Mit dieser Frage weckt Christiane Lemke vage Hoffnungen. Zwar habe die republikanische Partei im Kongress die Mehrheit, doch die Abgeordneten hätten bei der Gesetzgebung immer auch ihre Wiederwahl im Blick. "Obamacare ist als Gesundheitsvorsorgesystem zum Beispiel bei vielen Wählern sehr beliebt", gibt Lemke zu bedenken. Das oberste Gericht sei mit vier konservativen und vier progressiven Richtern gespalten. Noch sei der von Trump vorgeschlagene neunte Richter nicht bestätigt. Wie wichtig die Judikative als Korrektiv sei, habe zuletzt die Aufhebung des Einreiseverbots für Bürger aus sieben von 40 muslimisch geprägten Ländern gezeigt. Ein kritischer Blick sowohl aus der Öffentlichkeit als auch von Verfassungsrechtlern sei angebracht.
Widersprüche und Bedrohungen
Nach einem differenzierten Blick auf Trumps Kabinett stellt Christiane Lemke fest, dass bei den Mitgliedern zwar zum Teil reaktionäre und rassistische Ideologien sowie mangelnde Erfahrung problematisch seien – "andererseits lässt hoffen, dass die Positionen in Trumps engstem Kreis durchaus widersprüchlich sind". Ex-General James Mattis sei zum Beispiel Kritiker Russlands und Anhänger der NATO. Und Außenminister Rex Tillerson sei überzeugt von der Notwendigkeit des Freihandels. "Dass der strategische Berater Stephen Bannon allerdings als rechter Ideologe ohne militärische Erfahrung Mitglied des nationalen Sicherheitsrates wird, ist bedrohlich", gibt Lemke zu.
Protektionismus und Automatisierung
"Was ist von Trumps Politik zu erwarten?", fragt Christiane Lemke schließlich. Der liberale Flügel der republikanischen Partei sei über Jahre geschwunden, sodass den USA eine konservative Mitte verloren gegangen sei, erklärt sie. Vor diesem Hintergrund sei Trumps nationalistische Position "Make America great again" möglich geworden, die vor allem in der Wirtschaftspolitik die Schuld im Ausland suche und deshalb nach einem neuen Protektionismus strebe. "Dass sich aber die verlorenen Arbeitsplätze so einfach zurückbringen lassen, bezweifeln auch Ökonomen", führt Lemke an. Sie seien vor allem der Automatisierung zum Opfer gefallen. Zudem sei es unmöglich, die Kohleindustrie zu retten, indem man Ölbohrungen und Fracking vorantreibe. "Und die nicht dokumentierten Zuwanderer, die Trump ausweisen lassen will, sind als Arbeitskräfte unverzichtbar – zum Beispiel in der kalifornischen Landwirtschaft", fügt Lemke an.
Erneuerungsfähigkeit und Dynamik
Ob Lügen, falsche Daten und das negative Bild, das Trump von den USA zeichnet, das politische System dauerhaft verändern könnten, fragt Moderator Dr. Marcus Hoppe, Lehrbeauftragter am Institut für Poltische Wissenschaft der Leibniz Universität Hannover. "Dass die US-Gesellschaft erneuerungsfähig ist, hat die Bewältigung der Spaltungen und der Gewalt der 1960er Jahre gezeigt", gibt Christiane Lemke zu bedenken. Zudem werde in einzelnen Bundesstaaten vorbildliche Politik gemacht. Einerseits sei Trump nicht repräsentativ für die ganzen USA, andererseits demoralisiere es auch viele Menschen, dass ein Rassist und Sexist so beliebt sein könne. "Demokratien westlicher Art sind jedoch sehr dynamische Gebilde", ist Lemke überzeugt, "ich sehe keine davon am Ende, solange wir sie offensiv verteidigen."
Kirche und Politik
Ein Zuhörer fragt nach der Rolle der Kirchen: "Wie können so religiöse Menschen eine solche Hetze zulassen?" Die US-Kirchen müsse man sich sehr fragmentiert vorstellen, erklärt Christiane Lemke. Vor allem die protestantischen, von denen viele das Ergebnis einer vielschichtigen Einwanderungsgesellschaft seien. "Es gibt keine Kirchenoberhäupter, die für eine Mehrheit sprechen könnten", führt sie aus. Traditionell hätten sich Religionsgemeinschaften lange aus der Politik herausgehalten. Allerdings hätte schließlich die Einmischung politisierter Protestanten in konservative Politik zu einer einflussreichen religiösen Rechten geführt. "Trump selbst ist kein guter Christ", so Lemke, "er hat sich die Bindung dieser Wähler durch seinen Vize Mike Pence gesichert."
Aufstand und Deregulierung
Eine gebürtige US-Amerikanerin im Publikum fragt, in welches goldene Zeitalter Trump eigentlich zurück wolle. Sie einigt sich mit Christiane Lemke darauf, es handle sich wohl am ehesten um einen Aufstand der weißen Männer, die sich in idealisierte 1950er- oder 1960er-Jahre träumten. "Demografen prognostizieren, dass die Weißen im Jahr 2050 in den USA in der Minderheit sein werden", erklärt Lemke, "das beunruhigt offenbar viele." Warum die Börsen trotz vieler Unberechenbarkeiten in so guter Stimmung seien, fragt schließlich ein Zuhörer. Trump habe bereits per Dekret ein Gesetz Obamas zur Bankenregulierung außer Kraft gesetzt, berichtet Lemke, die Banken und Börsen hofften, dass er noch weitere Regeln sprengen wird. Dazu trage auch die Lockerung von Umweltauflagen bei, die beispielsweise die Förderung einheimischen Öls verstärken solle. "Allerdings sind die USA wirtschaftlich keinesfalls autark, auch ihre Wirtschaft ist international verflochten", betont Lemke. Und fügt hinzu: "Ist Trump ein guter Geschäftsmann? Eher nicht."
Nachrichtenstrom und Herausforderung
Christiane Lemkes Vortrag vermag dem Nachrichtenstrom einen Abend lang zu trotzen und den Gästen eine Insel zu bieten, auf die sie sich kurzfristig retten können, um Informationen und deren Analysen zu sortieren. Zudem versetzt er sie in die Lage, die Meldungen der kommenden Tage besser einordnen zu können. Denn Trump zu ignorieren bleibt eine Herausforderung. Am 10. Februar erscheint eine ganzseitige Anzeige in der Washington Post, in der 100 evangelikale Kirchenleiter gegen Trumps Einreisestopp protestieren. Die britische Tageszeitung Guardian fragt, ob man über Trump lachen sollte und weist auf die Anfälligkeit seines Systems für Satire hin. In einem weiteren Artikel bescheinigt sie Stephen Bannon, den Geist der Revolte zu beschwören, den die Demokraten verloren. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet Trump als Problem für Gegner und Verbündete.
Apokalypse und Wahlbetrug
Am 11. Februar vergleicht das Online-Magazin The Intercept Stephen Bannons Ziel eines Zivilisationskrieges mit dem der Terrororganisation Islamischer Staat. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt Endzeit und Gottesreich als US-amerikanische Urmythen, auf denen Trumps apokalyptisches Denken aufbaut. In einem weiteren Text berichtet sie, Trump erwäge einen neu formulierten Einreisestopp. Die New York Times attestiert den Republikanern, Respekt vor der Demokratie zu unterminieren, indem sie als Wahlsieger an Behauptungen über angeblichen Wahlbetrug festhalten. Georg Seeßlen beschreibt im Online-Magazin Spiegel Online, wie Rechtspopulisten die Sprache vergiften. Am 12. Februar kommentiert der Guardian, Trump sei der beste Freund der Wall Street geworden, anstatt deren Sumpf trocken zu legen. Außerdem berichtet das Magazin, Journalisten und Stars würden wohl das bevorstehende Correspondent's Dinner des Präsidenten meiden.
Atomkoffer und Entlassungsliste
Am 13. Februar kommentiert Radio Vatikan eine Aussage von Stephen Bannon, in der er den Papst als naiv bezeichnet. Der Guardian berichtet, wie Trump vor Gästen seiner exklusiven Ferienanlage Mar-a-Lago öffentlich den japanischen Ministerpräsidenten trifft und mit seinen Beratern einen nordkoreanischen Raketentest diskutiert. Auf Twitter macht ein Selfie die Runde, das ein reicher Gast mit dem Regierungsmitarbeiter machte, der den Atomkoffer trägt. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht einen Artikel zur Unzufriedenheit Trumps mit seinen Mitarbeitern und Gerüchten über eine Entlassungsliste, auf der angeblich der Pressesprecher Sean Spicer und der nationale Sicherheitsberater Michael Flynn stehen. Am 14. Februar berichten alle großen Medien über den Rücktritt Michael Flynns. Das Thema Trump lässt kein allzu langes Innehalten zu.
Thomas Kaestle