Karikatur und Terror - Ein Krieg der Bilder
Den Jahrestag des jüngsten Anschlags auf Charlie Hebdo nahmen die VolkswagenStiftung und das Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst zum Anlass, vor voll besetztem Auditorium Fragen über die Motivation, Unterschiede zwischen dem islamischen und christlichen Bildverständnis, aber auch die Grenzen der Karikatur zu diskutieren.
Die Anschläge auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo
Vor einem Jahr, am 7. Januar 2015, haben Attentäter einen islamistisch motivierten Terroranschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris verübt. Zwei maskierte Männer, die sich später zu Al-Qaida im Jemen bekannten, drangen in die Redaktionsräume der Zeitschrift ein, töteten elf Personen, verletzten mehrere Anwesende und brachten auf ihrer Flucht einen weiteren Polizisten um. Einen Tag später wurde im Süden von Paris eine Polizistin von einem weiteren schwer bewaffneten Täter erschossen. Dieser überfiel am Tag darauf den Supermarkt Hyper Cacher für koschere Waren im Pariser Osten, tötete vier Menschen und nahm weitere als Geiseln. Der Täter bekannte sich telefonisch zum Islamischen Staat und erklärte, sein Vorgehen stehe in Verbindung mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo.
Darf man Mohammed so darstellen?
Als Begründung für den Anschlag wurde in einem Bekennervideo von Al-Kaida die Veröffentlichung islamkritischer Karikaturen durch die Zeitschrift Charlie Hebdo angeführt. Die Redaktion war bereits zuvor zur Zielscheibe von islamistisch motivierten Anschlägen geworden: Direkt nach der Veröffentlichung eines Sonderheftes mit dem Titel "Charia Hebdo" zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien im Jahr 2011, auf dem Mohammed als Karikatur auf der Titelseite abgebildet war, wurde ein Brandanschlag auf die Redaktion ausgeübt. Darüber hinaus erhielt der Chefredakteur Stephane Charbonnier Morddrohungen und stand seitdem unter Polizeischutz. Wie weit darf die Karikatur gehen? Ist es legitim, Mohammed zu karikieren? Oder tragen die Redakteure letzten Endes sogar eine Mitschuld an den Geschehnissen? Diese und andere Fragen waren Thema beim Herrenhäuser Forum "Karikatur und Terror - Ein Jahr nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo".
Karikatur als Waffe
Zuerst zögerlich, doch dann umso fester entschlossen habe Prof. Dr. Michael Diers als Kunsthistoriker von der Humboldt-Universität zu Berlin solche Fragen zur Mitverantwortung der Karikaturisten mit einem "Ja, die Karikatur darf das" und "Nein, die Zeichner tragen keine Mitschuld" beantwortet. Warum hatte er anfangs gezögert? Weil er sich habe einschüchtern lassen, berichtete Diers.
In seinem einleitenden Vortrag blickte er auf die historischen Charakteristika der Karikatur zurück und stellte heraus: Bereits seit ihrer Entstehung und bis heute dient die Karikatur der Herrschaftskritik. Sie wurde als eine Art "friedliche Waffe" genutzt. Denn die Karikatur spiele auch heute noch eine wichtige Rolle für die Selbstverständigung innerhalb einer Gesellschaft. Sie hilft uns, die eigene Identität und moralische Positionierung zu festigen. Dabei liegt es im Charakter der Karikatur, durch kluge Beobachtung das Hässliche und Absonderliche zu überzeichnen.
Und Prof. Dr. Étienne François, Historiker an der Freien Universität Berlin, fügte hinzu: "Eine gute Karikatur muss einerseits wehtun und andererseits zum Lachen bringen. Dabei darf sie sich auch gegen religiöse Konzepte richten. Doch so eine Kritik muss ausgehalten werden - sowohl im Christentum als auch im Islam", ermahnte er.
Kennt die Karikatur Grenzen?
Doch was ist, wenn eine Karikatur ausschließlich wehtut? Oder müssen an dieser Stelle Grenzen berücksichtigt werden? Seit Entstehung der Karikatur wurde regelmäßig versucht, ihr mithilfe juristischer Mittel Einhalt zu gebieten. Beispiele hierfür lieferte Dr. Gisela Vetter-Liebenow, Direktorin des Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst. Sie stellte unter anderem aktuelle Beispiele von Karikaturen und Satire vor, die – trotz der gültigen Kunst- und Pressefreiheit – rechtlich belangt wurden und neben Freisprüchen zum Teil mit Gefängnisstrafen sanktioniert wurden. Beispielsweise wurde der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer im Jahr 2005 in Athen zu sechs Monaten Haft verurteilt, weil seine umstrittene Comic-Satire "Das Leben des Jesus" verletze die religiösen Gefühle der Griechen.
Die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Naika Foroutan von der Humboldt-Universität zu Berlin wollte in diesem Kontext diskutiert wissen, ob nicht jenseits der rechtlichen Kategorien auch moralische Instanzen darüber entscheiden müssten, wie weit Karikaturen gehen dürften. So hegt Foroutan Zweifel daran, ob es gesellschaftlich akzeptiert sei, aus heutiger Sicht beispielsweise antisemitische Karikaturen zu verbreiten. Sie wies zudem auf die Gefahr hin, dass die Mohammed-Karikaturen oftmals den Islam mit Terror gleichsetzen und somit islamophobe Tendenzen schüren könnten.
An dieser Stelle begann eine emotionale Diskussion unter der Moderation von Stephan Lohr darüber, ob und wie ethische Grenzen gezogen werden können, und brachte unterschiedliche Standpunkte zum Vorschein: Die Freiheit der Kunst müsse rechtlich garantiert werden, so Diers. Vetter-Liebenow distanzierte sich davon, eine Zensur bei der Veröffentlichung von Karikaturen einzuführen. Gerade unter ethischen Gesichtspunkten könne jedoch keine totalitäre Freiheit gewährleistet werden, konstatierte François. Er begründete dies damit, dass auch Kunst nicht volksverhetzend auftreten und Hass schüren dürfe. Dabei handele sich um eine "Gratwanderung", deren Grenze jedoch nur innerhalb der Gesellschaft stets neu ausgehandelt werden könne.
Karikaturen als Auslöser für Terror?
Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang das Bilderverbot im Islam ? Waren die Eigenarten der Karikatur den Terroristen nicht geläufig? Und waren die Mohammed-Karikaturen tatsächlich der Auslöser für die Terroranschläge? Dem Politikwissenschaftler Dr. Asiem El Difraoui, Experte für dschihadistische Internet-Propaganda, erschien es zu einfach, die Karikatur alleine verantwortlich zu machen. Er konstatierte, dass im Koran selbst kein totales Bildverbot vorhanden sei. Dieses sei erst später unter den Moabitern und den saudi-arabischen Hoheitsfamilien entstanden, die sich dadurch vor allem von anderen Religionen wie dem Christentum unterscheiden wollten.
Dennoch greifen heute viele "Daesch" (Bezeichnung für Dschihadisten im arabischen Sprachraum) auf deren Auslegung zurück, berichtete El Difraoui, und zerstören in Anlehnung daran Kulturstätten wie Palmyra. Zudem räumte der Wissenschaftler mit dem Vorurteil auf, dass der arabischen Kultur das Medium nicht vertraut sei: Beispielsweise gäbe es im Irak eine große Anzahl an Karikaturen, in denen sich Zeichner auch über Fundamentalisten lustig machen.
Terror als Krieg der Bilder
El Difraoui hat über 30 Jahre die Bildsprache der Dschihadisten untersucht und dabei herausgearbeitet, wie diese mithilfe ikonografischer Darstellungen versuchen, Macht auszuüben. Dementsprechend wertet er den Terrorismus als einen symbolträchtigen „Krieg der Bilder“, der sich auch die Bildsprache westlicher Medien und Jugendkulturen zu Eigen gemacht habe. Jugendliche würden verstärkt durch vor Slang und Hybris triefenden Videos auf YouTube rekrutiert; oder es werden symbolträchtige Orte als Anschlagsziele ausgewählt, etwa das World Trade Center am 11. September 2001.
„Die Bilder von Enthauptungen sind reinster Hollywood-Trash“, meinte El Difraoui. „Solche Bilder möchte ich nicht mehr sehen und zeigen – und ihnen dadurch Kredit zollen.“ Statt der Inszenierung des dschihadistischen Grauens mehr Macht zu erteilen, sprach er sich dafür aus, diesen Bildern eine Sprache des Humors entgegenzusetzten.
Ebenso halte er einen "Marshallplan", der von der Politik langfristig koordiniert werden müsse, zur Prävention von Terror für unerlässlich. Denn der Erfolg der Dschihadisten, so seine These, beruhe darauf, dass diese die einzigen Akteure sind, die vielen jungen Muslimen in persönlichen Krisen und/oder Krisengebieten mit geopolitischen, sozialen und ökonomischen Problemen eschatologisches Heil - wenn nicht im Diesseits, so doch im Paradies – versprechen. Doch: Welche Verantwortung könnte die westliche (Bild)Sprache gerade in Bezug auf das Selbstverständnis junger Muslime Rahmen eines solchen Marshallplans spielen?
Andrea Oechtering