Keine Zukunftsmusik mehr: Zeitalter der Robotik hat begonnen
Wie Roboter die Industrie voranbringen, das Leben bereichern und uns zu Diensten sein können, davon berichtete Prof. Dr. Sami Haddadin bei zwei Veranstaltungen der VolkswagenStiftung.
Mit dem Statement "Das Zeitalter der Robotik ist eingeläutet", eröffnete Mareike Rüßmann von der VolkswagenStiftung die 20. Ausgabe von Herrenhausen Late, was Prof. Dr. Sami Haddadin, Protagonist der Veranstaltung mit dem Titel "Zurück in die Zukunft – Wie Roboter unser Leben bereichern" sogleich bestätigte. "Robotik war nicht nur während der Eröffnung der diesjährigen Hannover Messe, an der auch Kanzlerin Merkel und Präsident Barack Obama teilnahmen, ein großes Thema", berichtete Haddadin, Direktor des Institute of Automatic Control/Institut für Regelungstechnik an der Leibniz Universität Hannover, "Sie bereichert bereits heute unseren Alltag und wird dies in Zukunft noch viel intensiver tun."
Zu Anfang seines Vortrags gab Haddadin einen Einblick in die Geschichte der Robotik und erläuterte, warum viele Roboter menschenähnlich aussehen: "Wir betrachten den Mensch als Ideal – vermutlich auch, weil wir es nicht besser wissen oder können." Dabei sei zum Beispiel das menschliche Gehen ein sehr komplexer Vorgang, der schwer mit einer Maschine nachzuahmen sei. Damit sich Roboter aber in unseren Alltag integrieren können, müssen sie sich durch die von Menschen und für Menschen gemachte, reale physikalische Welt navigieren. Dies stellt Forscher und Entwickler vor große Herausforderungen, und so auch Ingenieur Haddadin und sein Team an der Leibniz Universität Hannover.
Neben der Mechanik zählt die Sensorik
Neben dem Körperbau des Menschen, der in der Robotik oftmals nachgeahmt wird, sind vor allem aber unsere Sinne wichtig dafür, dass Maschinen irgendwann Teile unserer Aufgaben übernehmen können. Der Tastsinn beispielsweise sei besonders wichtig, um Roboter an entfernten Orten – etwa auf einer Mond- oder Marsmission oder beispielsweise in verstrahlten oder verseuchten, für Menschen gefährlichen Gegenden – einsetzen zu können, "als eine Art Avatar", berichtete Sami Haddadin. Entwicklungen in der Robotik für die Industrie oder die Raumfahrt tragen dazu bei, in unserem Alltag Anwendungsfelder zu erschließen. Unter anderem gründen Technologien im Bereich autonomes Handeln wie die Abstandskontrolle in modernen Autos oder auch die Autopilot-Funktion in Flugzeugen unter anderem auf Entwicklungen für die Marsmission.
Vom Menschen "lernen"
Arbeiten Menschen und Roboter Seite an Seite, wie teilweise in der Industrie üblich, ist das wichtigste, dass Roboter den Menschen nicht verletzen, wenn der Mensch beispielsweise unaufmerksam ist und in den Aktionsradius des Roboters eindringt. Die schweren Maschinen müssen dann so programmiert sein, dass sie zum Beispiel automatisch abstoppen oder zurückweichen. Davon abgesehen spielen aber auch weitere Aspekte bei der Ausstattung von Robotern eine Rolle, erklärte Haddadin: "In unseren Armen und Händen steckt große Intelligenz. Diese müssen wir auch in der Robotik erzeugen." Beispielsweise müsse der menschliche Kraftsensor in den Händen, das sog. Golgi-Sehnenorgan, kopiert werden, um die Steifigkeit eines Roboterarms steuern zu können. Auch auf eine hohe Feinfühligkeit kommt es an: In der Automobilindustrie, die mit 20 % weltweit am höchsten automatisiert ist, ist für viele Arbeitsschritte der menschliche Tastsinn unabdingbar. Robotern müsse diese Feinfühligkeit mithilfe von Sensoren, Kameras und der entsprechenden Software aufwändig beigebracht werden, damit sie in Zukunft bei diesen Arbeiten einsetzbar seien.
"Ein heute besonders bedeutendes Feld ist die Interaktion zwischen Mensch und Roboter", führte Sami Haddadin aus. Seit 2015 gibt es internationale Standards, die diese Interaktion regulieren. Damit Roboter den Menschen zum Beispiel als Servicekräfte oder als Haushaltshelfer dienen können, müssen sie ihre Umwelt analysieren und sich sicher darin bewegen können. Besonders bei Servicerobotern besteht zusätzlich die Anforderung, dass sie den Menschen als solchen identifizieren können, damit sie auf ihn eingehen können. Die Implementierung biomechanischer Daten des Menschen in die Software des Roboters sei dabei ein wichtiger Schritt, betonte Haddadin – besonders im Bereich der Prothetik sei dies entscheidend. Die gewonnen Erkenntnisse bei der Entwicklung und Anwendung hochtechnisierter Prothesen zu sammeln und miteinander in Verbindung zu bringen spielt darüber hinaus auch eine große Rolle. Denn nur so können sie weiter verbessert und individualisiert werden. Zudem ist mit zunehmender Verbreitung von Robotern deren einfache Programmierung beispielsweise durch anwenderfreundliche Apps ein Schlüsselfaktor, damit ihre Besitzer bzw. Benutzer sie leicht einstellen und an ihre Bedürfnisse anpassen können.
Robotik auch im Fokus der Herrenhausen Science Movie Night
Der Umgang mit Robotern, die Aufgaben für und mit dem Menschen übernehmen sollen, war auch Thema der ersten Herrenhausen Science Movie Night, bei der Prof. Dr. Sami Haddadin einer der eingeladenen Experten war. Im Zentrum des Kinofilms "Robot & Frank – Zwei diebische Komplizen" steht der alternde Juwelendieb Frank, dem ein Serviceroboter als Hilfe im Alltag an die Seite gestellt wird. Frank macht ihn sich aber als Komplizen zum Diebstahl von teuren Schmuckstücken zunutze. Besondere Brisanz erhält der Film dadurch, dass der Roboter im Verlauf seines Lernprozesses eigenständig Entscheidungen fällt, die sich hinsichtlich Recht und Moral an denen seines Besitzers orientieren.
In der auf die Filmvorführung folgenden Diskussion wurden die technischen, wissenschaftlichen und strafrechtlichen Aspekte der Handlung deutlich gemacht. Eckhard Stasch vom Technik-Salon Hannover moderierte das Gespräch zwischen Prof. Dr. Susanne Beck, Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung und Rechtsphilosophie an der Leibniz Universität Hannover, Prof. Dr. Florentin Wörgötter, Leiter der Computational Neuroscience der Universität Göttingen, und Sami Haddadin. Der Robotikfachmann erläuterte dass der Stand der Technik im Bereich der Feinfühligkeit der Serviceroboter durchaus beachtlich ist, ihre Autonomie allerdings nicht. Neurowissenschaftler Wörgötter verwies darauf, dass wir Menschen viel Zeit im Leben benötigen, um zu lernen und uns Fertigkeiten anzueignen, Roboter hingegen werden programmiert. Um Robotern das adaptive Lernen und Agieren des Menschen beizubringen, arbeiteten Wissenschaftler derzeit an der Schnittstelle zwischen Hirnforschung und Robotik. Er stellte die Frage, ob der Weg in die Autonomie nicht zwangsläufig dazu führe, dass eine künstliche Intelligenz ihre vom Menschen gesetzten Grenzen hinterfragt.
Susanne Beck brachte die Herausforderung zur Sprache, wie sich Missbräuche der Roboter durch den Menschen verhindern lassen, ohne den Roboter in seinen Möglichkeiten zu beschränken. Nachdenklich mache etwa auch die Frage, inwiefern wir Servicerobotern etwa im Pflegebereich die Entscheidung über das Sedieren eines Patienten überlassen sollten.
Die nächste Herrenhausen Science Movie Night findet am 13. September 2016 statt – ebenfalls mit dem Schwerpunktthema Roboter. Der Film "Wall E – Der letzte räumt die Erde auf" wird zu sehen sein, gefolgt von einer Diskussionsrunde zum Thema "Robotik und künstliche Intelligenz".
von Tina Walsweer