Macht Arbeit krank? Lecture über Burnout, Angst und Depressionen am Arbeitsplatz

Wie sehr kann und darf Arbeit uns belasten? Veranstaltungsbericht zur 6. Leopoldina Lecture am 28. September 2015 in Hannover über die Gründe und Auswirkungen von psychischen Erkrankungen wie Burnout und Depressionen.

Ein Burnout-Syndrom ist in der Wahrnehmung der Gesellschaft heutzutage zumeist eine Folge von vermehrtem Stress während der Arbeit. Nicht selten wird es gar als "Krankheit der Starken" belächelt, unter der vor allem Führungskräfte leiden. Dabei zählt das Burnout zur gleichen Gruppe psychischer Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Alkohol- und Zwangsstörungen sowie bipolare und psychotische Störungen. Dabei gelten vor allem Depressionen im Volksmund als "Krankheit der Schwachen".

Die Lecture hatte die Ursachen und Auswirkungen von Burnout, Depressionen und Angst am Arbeitsplatz als Thema. (Foto: Janek Stroisch / Leopoldina)

Psychische Erkrankungen betreffen insgesamt mehr Menschen, als man zuerst vermuten mag, wie Prof. Dr. Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians Universität München, in seinem einleitenden Vortrag erläuterte: "In jedem Jahr leiden mindestens 33 Prozent der deutschen Bevölkerung unter einer psychischen Erkrankung. Diese Zahlen halten sich in den vergangenen 20 Jahren innerhalb von Deutschland und Europa auch relativ stabil. Allerdings werden heutzutage deutlich mehr Menschen wegen psychischer Erkrankungen behandelt."

Müde, schlaflos und verausgabt

Aber wie genau lässt sich ein Burnout-Syndrom von anderen psychischen Erkrankungen abgrenzen? Es drückt sich beispielsweise durch ein Gefühl der Verausgabung, gepaart mit weiteren Faktoren wie Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen oder auch Infektanfälligkeit aus – stets im Zusammenhang mit chronisch hoher Arbeitsbelastung. Wohingegen sich eine Depression beispielsweise durch gedrückte, depressive Stimmung, Interessensverluste und Freudlosigkeit sowie Antriebsmangel äußert. "Für eine Depression ist Stress alleine nicht der Auslöser. Bei rund 70 Prozent der Patienten mit einer Depression ist eine psychische Erkrankung der Auslöser", führte Falkai auf.

Erster Vortragender des Abends war Prof. Dr. Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians Universität München. (Foto: Janek Stroisch / Leopoldina)

Die Symptome sowohl von Depressionen als auch von Burnout sind oftmals sehr subjektiv geprägt – und zwischen ihnen besteht ein großer Überlappungsbereich. Für eine präzise Diagnose setzen Mediziner daher verschiedene, wissenschaftlich belegte Tests ein (z. B. das "Maslach Burnout Inventory" und das "Beck-Depressions-Inventar"). Biomarker, also physische Manifestationen dieser Krankheiten, lassen sich bislang noch nicht diagnostizieren. "Es gibt Erkenntnisse, dass sich auch die Zellen unseres Körpers verändern, wenn wir uns stressen. Das kann beispielsweise Entzündungsprozesse auslösen. Aber durch körperliche Aktivität lassen sich diese zellulären Veränderungen bis zu einem gewissen Grad rückgängig machen", erklärte Falkai. Auch der Abbau von zu großen Belastungen, etwa durch Änderungen des Lebensstils, Umschichten von Arbeit oder ein verändertes Zeitmanagement, sowie der Aufbau von Ressourcen, z. B. mithilfe eines positiven Arbeits- und Sozialklimas sowie Wertschätzung und Anerkennung durch die Vorgesetzten führte Falkai als unterstützende Maßnahmen zur Therapie an.

Ressourcen stärken

Dass Arbeit auch positive Auswirkungen hat, thematisierte Prof. Dr. Sabine Sonnentag, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Mannheim, in ihrem Vortrag. Denn abgesehen davon, dass sie für unseren Lebensunterhalt sorgt, gibt sie dem Tag zeitliche Struktur, vermittelt ein Gefühl der Stabilität, bietet soziale Kontakte und eine Teilhabe "am großen Ganzen". "Erwerbslose haben durchschnittlich eine schlechtere psychische Gesundheit und weisen höhere Suizidraten auf", berichtete Sonnentag.

Prof. Dr. Sabine Sonnentag, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Mannheim, berichtete davon, wie sich Ressourcen für Gesundheit am Arbeitsplatz schaffen lassen. (Foto: Janek Stroisch / Leopoldina)

Auch sie betonte die für die psychische Stabilität notwendige Balance zwischen negativen Einflüssen wie Zeitdruck, körperlichen Belastungen und möglichen sozialen Konflikten sowie positiven Ressourcen wie wertschätzendem Verhalten Vorgesetzter, Erweiterungen der Handlungsspielräume und Entscheidungsfreiheiten sowie Feedbackmöglichkeiten und soziale Unterstützung. "Meiner Ansicht nach wird zu häufig nur über den Zusammenhang von Belastungen und Burnout gesprochen. Der Effekt von Ressourcen wird viel zu selten in den Vordergrund gerückt", erklärte die Psychologin. "Dabei sind Erholungsprozesse enorm wichtig für psychische Gesundheit und auf keinen Fall unabhängig von der Arbeitssituation zu sehen."

Ist die Wehleidigkeit gestiegen?

In der anschließenden Podiumsdiskussion fragte Prof. Dr. Frank Rösler, Präsidiumsmitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der den Abend moderierte, zunächst nach der Entwicklung der Wahrnehmung von Stress und Belastungen: "Spitz formuliert: Ist es vielleicht weniger die Belastung als solche, sondern viel mehr ihre Bewertung, die sich heutzutage gewandelt hat – dass etwa die Freizeit immer wichtiger wird? Kann man sagen, die Wehleidigkeit ist größer geworden?" Dem entgegnete Sonnentag, dass sich vor allem die Art der Anforderungen an Arbeitnehmer verändert habe. Beispielweise verschwömmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend.

Den Abend moderierte Prof. Dr. Frank Rösler, Präsidiumsmitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. (Foto: Janek Stroisch / Leopoldina)