"Man muss in der Liebe auch ausatmen können"

Für manche ist sie ein Geschenk, für andere hat sie etwas Bedrohliches: die Liebe. Beim 27. Herrenhäuser Gespräch stand das große Gefühl im Zentrum des Abends.

Veranstaltungsbericht zum Herrenhäuser Gespräch am 12. Juni 2014

"Liebeskonzepte im 21. Jahrhundert" mit Prof. Dr. Heidi Keller, Prof. Dr. Kornelia Hahn, Moritz Rinke, Prof. Dr. Wilhelm Schmid und Stephan Lohr

(v.l.n.r.) Prof.Dr. Wilhelm Schmid, Philosoph, Universität Erfurt, Prof.Dr. Kornelia Hahn, Soziologin, Universität Salzburg, Prof.Dr. Heidi Keller, Psychologin, Universität Osnabrueck, Moritz Rinke, Autor und Dramatiker, Berlin, Stephan Lohr, Moderator, NDR Kultur in der Podiumsdiskussion im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen. Foto: Claudia Levetzow für VolkswagenStiftung

Liebe existiert in vielen unterschiedlichen Formen: als Liebe zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern oder auch gleichgeschlechtlichen Partnern. Unter dem Titel "Liebeskonzepte im 21. Jahrhundert - Vom Bedeutungswandel eines großen Gefühls" gingen Kenner der Materie am 24. Juli im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen der Frage auf den Grund, wie sich die Liebe und die damit verbundenen Konzepte verändert haben.

Das Verständnis von Liebe

Zu Beginn verdeutlichte Prof. Dr. Kornelia Hahn, Soziologin der Universität Salzburg, den Unterschied zwischen Liebe und Liebeskonzepten. So sei die romantische Liebe als Gegenentwurf zum dominierenden Liebeskonzept des 18. Jahrhunderts entstanden. Und was ist heute unter Liebe zu verstehen? Prof. Dr. Wilhelm Schmid, Philosoph und Lehrender an der Universität Erfurt, interpretiert Liebe nicht nur als einen Komplex aus Romantik, Verständnis und Aufopferung, sondern betont die Bewährung im Alltag: "Man kann in einer Beziehung nicht nur einatmen – nämlich die Romantik – und nicht ans Ausatmen – das Geschirrspülerausräumen, das Waschmaschinebestücken – denken. In der Liebe muss man auch ausatmen können."

Prof.Dr. Kornelia Hahn Soziologin, Universität Salzburg. Foto: Claudia Levetzow für VolkswagenStiftung
Wie wichtig bin ich mir?

Auf der Suche nach der unbändigen, schicksalhaften Liebe stellt sich die Frage, wie viel man von sich selbst aufgeben will. Der Autor und Dramatiker Moritz Rinke hat dies unter anderem in seinem Stück „Wir lieben und wissen nichts“ thematisiert. Im aktuellen Herrenhäuser Gesprächs warf er die Frage auf, wie es in Zeiten des Autonomiebedürfnisses um die Liebe bestellt ist. Prof. Dr. Heidi Keller, Psychologin und Lehrende an der Universität Osnabrück, schätzt die aktuelle Situation so ein: "Ich sehe trotz der vielen Wahlmöglichkeiten in westlichen Ländern keine große Veränderung in der Liebe und den mit ihr einhergehenden Lebensentwürfen. Die meisten Menschen leben weiterhin nach den klassischen Familienkonzepten." Auch Kornelia Hahn unterstützt diese These: "Unsere Gesellschaft ist keine Gesellschaft von Singles." Die Statistik sei nicht unbedingt repräsentativ, so würden beispielweise bei der Zählung von Singlehaushalten auch verwitwete Ehepartner einbezogen.

Was sich geändert hat

Die Liebe hat sich im Hinblick auf die Umsetzung in ein Konzept also scheinbar kaum verändert. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Wandel gibt. Hahn und Keller führten zum Beispiel die zunehmende Akzeptanz von Homosexualität an. Auch sei die Suche nach der romantischen Liebe nicht mehr auf die jungen Generation beschränkt: "Die Ausdehnung in die 50,60,70 plus ist klar zu erkennen", sagte Hahn.

(v.l.n.r.) Prof.Dr. Wilhelm Schmid, Philosoph, Universität Erfurt, Prof.Dr. Kornelia Hahn, Soziologin, Universität Salzburg, Prof.Dr. Heidi Keller, Psychologin, Universität Osnabrueck, Moritz Rinke, Autor und Dramatiker, Berlin, Stephan Lohr, Moderator, NDR Kultur. Foto: Claudia Levetzow für VolkswagenStiftung

Wilhelm Schmid sprach dann eine wahrzunehmende Ratlosigkeit bei der Rollenverteilung an. "Früher hat im Zweifelsfall der Mann entschieden, ob die Badewanne nun links oder rechts hinkommt, heute sind ganz klare Aufgabentrennungen kaum mehr vorhanden." Auch die Suche nach dem Partner hat sich stark verändert. Durch die Digitalisierung sind die Wahlmöglichkeiten um ein Vielfaches gewachsen. In Partnerbörsen sei es möglich, durch Suchmaschinenoptimierung den "perfekten Begleiter" zu finden. Unpassende Partner könnten von vornhinein vermieden werden, meint Schmid. Das Internet hat aber nicht nur das romantische Bild der Liebe, sondern auch das der Sexualität verändert. Ein riesiger Pool von "Anschauungsmaterial" ist heute umgehend per Klick verfügbar. Moritz Rinke zu diesem Wandel: "Unsere Großväter haben das Licht beim Sex vielleicht mal angemacht, heute brennt es immer – grell".
Mandy Rutkowski

Herrenhäuser Gespräch "Liebeskonzepte im 21. Jahrhundert - Vom Bedeutungswandel eines großen Gefühls". Foto: Claudia Levetzow für VolkswagenStiftung.