Ungehorsam in eine bessere Zukunft?
Politische und künstlerische Perspektiven zur Notwendigkeit zivilen Ungehorsams gab es beim Herrenhäuser Gespräch zu hören.
Veranstaltungsbericht zum 32. Herrenhäuser Gespräch am 28. Mai 2015
"Gegen den Strich – Von der Notwendigkeit zivilen Ungehorsams" mit Prof. Dr. Ulrich Brand, Prof. Dr. Herfried Münkler, Prof. Dr. Elisabeth Schweeger und Dr. Ulrich Kühn (Moderation).
Hannovers Interesse an zivilem Ungehorsam scheint groß: Das lässt jedenfalls der prall gefüllte Tagungssaal beim letzten Herrenhäuser Gespräch im Schloss Herrenhausen vermuten. Dort diskutierten die Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Brand, Universität Wien, und Prof. Dr. Herfried Münkler, Humboldt Universität zu Berlin, sowie die scheidende Intendantin der KunstFestSpiele Herrenhausen Prof. Dr. Elisabeth Schweeger unter dem Titel "Gegen den Strich – Von der Notwendigkeit zivilen Ungehorsams" über moralisch gebotene Grenzüberschreitungen, Regelverstöße und andere Formen von Kritik und Auflehnung.
Die Diskussionsrunde im Auditorium war zugleich Prolog der diesjährigen KunstFestSpiele. Unter dem Leitgedanken "Gegen den Strich" stehen noch bis zum 14. Juni 2015 diverse Konzerte und Aktionen auf dem Programm, die Normen und Normverletzungen thematisieren.
Eigeninteresse oder Bessere-Welt-Denken
Zum Einstieg in das von Dr. Ulrich Kühn von NDR Kultur moderierte Herrenhäuser Gespräch waren zunächst Definitionen gefragt. Professor Brand von der der Universität Wien und Mitglied des Kuratoriums des wissenschaftlichen Beirats der globalisierungskritischen Bewegung Attac definierte den zentralen Begriff des Abends so: "Ziviler Ungehorsam ist die bewusste Regelverletzung und die Inkaufnahme von Strafe." Aus seiner Sicht geht es um kollektives Handeln und ein Kämpfen für die Sache an sich. Als Beispiel nannte er die Protestbewegung rund um Gorleben, welche sich unerbittlich im Kampf gegen den Standort als Endlagerort für Atommüll einsetze. Ziviler Ungehorsam basiere nicht auf Eigeninteresse, sondern habe zum Ziel, eine solidarischere, gerechtere und ökologischere Welt zu schaffen.
Der Verzicht auf das Komfortable
Die Teilnahme Professor Münklers könnte ein zusätzlicher, aktueller Grund für das rege Interesse am Herrenhäuser Gespräch gewesen sein. Der Politikwissenschaftler war in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen geraten, da Studenten ihn in ihrem Blog "Münkler-Watch" angegriffen hatten. Der Politikwissenschaftler kritisierte diese Plattform vor allem wegen der Anonymität, hinter der sich seine Kritiker verschanzten. Es handele sich bei den Bloggern anscheinend um "Moralbewirtschafter", die keine Verantwortung für ihre Standpunkte übernehmen wollten. Ins Gespräch brachte Münkler dann eine ganz andere Art des zivilen Ungehorsams, nämlich den Verzicht des Komfortablen in Bezug auf die digitale Welt – eine Art Datenaskese. Zurückkommend auf Brands Definition ging er weiter auf die Frage des Gewissens ein. So warf er die Frage auf, ob wir es überhaupt mit zivilem Ungehorsam zu tun haben, wenn der Protest aus einem ganz konkreten Eigeninteresse heraus geschehe. Professionelle Protestler inszenierten sich beispielsweise primär medial und erhielten ja auch eine Entlohnung. Zugespitzt nannte er etwa Greenpeace-Aktivisten "professionelle Industriekletterer".
Aus eigenem Antrieb oder mediengeleitet?
Nach den beiden in ihren Vorstellungen von zivilem Ungehorsam deutlich differierenden Politikwissenschaftlern brachte Prof. Dr. Schweeger eine ganz neue Perspektive ein: Die Intendantin steht, wie auch der Titel der aktuellen KunstFestSpiele verdeutlicht, für ein Hinterfragen von Entscheidungen. Diese sollen den Anreiz geben, auch mal Nein zu sagen und nicht alles hinzunehmen, was einem gesagt wird. Schweeger fragte, welche Entscheidungen heutzutage dem zivilen Ungehorsam vorausgingen. Ihrer Meinung nach ist es kaum noch erkennbar, was zum Entschluss für eine solche Handlung führt. Handelt der Mensch aus eigenem Ansporn oder wird er durch äußere Einflüsse, etwa den Einfluss gesellschaftskritischer Medien geleitet?
Der Schrei muss gehört werden
Schweeger hinterfragte zudem die Wirksamkeit zivilen Ungehorsams und behauptete, dass Protest in der digitalisierten, globalisierten Welt kaum noch erfolgreich sein könne. Allein "auf die Straße zu gehen" reiche nicht mehr, man müsse vernetzt und hochgradig informiert sein. Außerdem sei die Gesellschaft dem Protest durch mediale Mittel wie Soziale Netzwerke auf eine weitaus oberflächlichere Weise verbunden als dies vor dem digitalen Zeitalter der Fall war. Um Erfolg haben zu können, sei man abhängig von medialer Präsenz: "Ich kann so laut schreien wie ich will, wenn mir niemand dabei zusieht, hat meine Mühe keinen Erfolg." Sie meinte, man müsse heute "die Welt in Aufruhr versetzten", um überhaupt noch eine Chance auf Veränderung zu haben. Diese Problematik kenne sie auch aus ihrer Arbeit mit jungen Künstlern, die sich häufig ohnmächtig fühlten. Sie würden sich zwar viel mit der Zukunft auseinandersetzen, aber seien zu wenig gesellschaftlich aktiv.