Verantwortung endet nicht an der Landesgrenze
Traumatische Verhältnisse – Soldaten im Kriegseinsatz
"Zu schießen war fast schon eine Befreiung." Johannes Clair verbrachte als Infanterist 216 Tage im Afghanistan-Einsatz. An 195 Tage geschah nichts. Jedenfalls nicht augenscheinlich. In diesen 195 Tagen gab es nur wenige Momente, in denen Clair keine Angst verspürte. Wann würden er und seine Kameraden angegriffen werden, wann würden sie auf eine unbemerkte Mine treffen, wann würde jemand sterben?
"Die Kampfeinsätze waren für mich mindestens genauso anstrengend wie die Zeit, in der wir nur wenig zu tun hatten. In den Gefechten war die Frontlinie klar, in der Zwischenzeit konnte die Gefahr überall sein", berichtete Clair während des Herrenhäuser Gesprächs von seinen Empfindungen im Kampfeinsatz. Der Soldat und seine Kameraden kehrten seinerzeit aus Afghanistan zurück - einige waren jedoch gekennzeichnet von körperlichen sowie seelischen Kriegsverletzungen.
Ein verändertes Wesen
Eine der häufigsten seelischen Verwundungen, die Soldaten nach Auslandeinsätzen belastet , ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). "Wenn Menschen in eine lebensbedrohliche Situation geraten, verspüren sie Angst. Wenn diese Situation häufig rekapituliert wird, verliert der Schrecken dieser Momente seine Zeit und seinen Raum, wodurch die Bedrohung ständig präsent ist. Das Wesen eines Menschen verändert sich", erklärte Prof. Dr. Thomas Elbert, Neuropsychologe an der Universität Konstanz.
Rund drei Prozent der Kriegsrückkehrer leiden an PTBS, wie eine Studie ergeben hat, die Forscher der Technischen Universität Dresden in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt haben. "Ein solche Studie ist ein großer Schritt", konstatierte der ehemalige Bundeswehrangehörige Clair. "Es zeigt, dass das Problem von seelischen Kriegsverletzungen in unserer Gesellschaft Aufmerksamkeit erlangt, auch wenn dies langsam geschieht."
Opfer oder Täter?
Ein weiterer Experte auf dem Podium war der Oberstarzt, Psychiater und Psychotherapeut Dr. Peter Zimmermann. Er hat am Bundeswehrkrankenhaus Berlin bereits viele traumatisierte Soldaten behandelt: "Soldaten sehen sich im Einsatz nicht nur als Opfer, sondern gegebenenfalls auch als Täter, wenn sie auf andere schießen. Es ist hierbei wichtig, mit ihnen zu sprechen, ihnen mit Respekt zu begegnen. Es ist oft eine Frage von Schuld oder Scham." Empathie von Ärzten sowie dem Umfeld der Soldaten spielt nach Zimmermanns Meinung eine große Rolle für ihre Reintegration. Für männliche Soldaten sei es jedoch oft schwierig, über ihr Leid zu sprechen. Viele befürchten, in der oftmals von Härteidealen bestimmten Hierarchie der Bundeswehr Nachteile zu erfahren. Der Psychologe Elbert sieht hier einen anderen Schwerpunkt . Seiner Meinung nach ist es von Bedeutung, wie sich der Soldat nach dem Kampfeinsatz wahrnimmt: Als Held oder als Täter. "Wenn man dem Soldaten erlaubt als Held zurückzukehren, ist er stärker, als wenn er fürchtet, verurteilt zu werden", erklärte Elbert. Professor Dr. Bernd Greiner, Historiker und Politologe am Hamburger Institut für Sozialforschung, kann dieser Heldenbezeichnung nicht viel abgewinnen. Auch er sieht den Schlüssel in der Empathie: "Es ist wichtig, wie viel Unterstützung der Soldat durch sein unmittelbares Umfeld erhält und nicht, dass man ihm einen Heldenstatus verleiht. Durch die Heroisierung kann ein Reden auf Augenhöhe nicht ermöglicht werden."
Jeder Einzelne steht in der Pflicht
Heroisierung oder Empathie – zwei grundverschiedene Ansätze, die jedoch das gleiche Ziel verfolgen: die Akzeptanz. Das Podium sah für diese Akzeptanz nicht nur das unmittelbare Umfeld in der Pflicht, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes.
"Ich habe mich zwar freiwillig als Soldat gemeldet, wurde jedoch von einer Bundesregierung entsendet, die unsere Gesellschaft gewählt hat. Leider wissen viele Politiker bis heute nicht, was es bedeutet, Soldaten in den Auslandeinsatz zu senden. Verantwortung endet nicht an der Landesgrenze", erklärte Clair. Elbert stimmte dem Soldaten zu. Seiner Meinung nach liegt die Lösung für die Heilung von seelischen Kriegsverletzungen auf der Hand: Es dürfen erst gar keine Soldaten entsendet werden. Greiner befürwortete diese Lösung ebenfalls : "Es ist Zeit für die Revitalisierung des pazifistischen Diskurses." Zudem sieht er in Initiativen von Soldaten, die sich mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit wenden, eine Lösung für eine stärkere Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaft. Auch die Bundeswehr sollte sich seiner Meinung nach stärker mit der Reintegration und dem öffentlichen Diskurs auseinandersetzen.
Seelisches Leid präventiv bekämpfen
Die Auseinandersetzung der Gesellschaft mit ihrer Verantwortung bei der Entsendung von Soldaten, eine Anerkennung ihrer Aufgabe und Empathie seitens des unmittelbaren Umfeldes sind verschiedene Ansätze für eine Reintegration von Soldaten. Doch was wäre, wenn der Soldat erst gar keine seelischen Verletzungen vom Einsatz davontragen würde? Wege in diese Richtung gibt es bereits, erklärte Zimmermann: "Es gibt ein Computerprogramm, das Bereiche der Psyche trainieren soll, beispielweise soziale Kompetenzen. Die Eigenschaft, sich Hilfe holen zu können, kann man trainieren." Erste Tests wurden bereits erfolgreich durchgeführt. Soldaten, die das Programm absolvierten, kehrten emotional stabiler aus dem Auslandeinsatz zurück, berichtete der Wissenschaftler. Am Ende war sich das gesamte Podium darüber einig: Die beste präventive Maßnahme für seelische Kriegsverletzungen ist der Verzicht auf die Entsendung von Soldaten. von Mandy Rutkowski