Vom Wundermittel zum Sorgenkind
Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen gegen Antibiotika. Beim Herrenhäuser Forum ging es um Mittel und Wege, wie wir das Problem in den Griff bekommen können. Veranstaltungsbericht zum Herrenhäuser Forum Mensch-Natur-Technik am 23. April 2015.
Es ist eine Horrorvorstellung: Eine Infektion wütet in unserem Körper und kein Medikament wirkt gegen den Krankheitserreger. Dieses Szenario ist mittlerweile leider viel zu oft Wirklichkeit. Denn durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika entwickeln immer mehr Keime Resistenzen gegen sie. Die Folge: 25.000 Menschen sterben in Europa jährlich an den durch Bakterien verursachten Krankheiten, so schätzen Experten. Dabei hatte die Medizin geglaubt, mit der Entdeckung antibakterieller Wirkstoffe im ewigen Kampf gegen krankmachende Erreger endgültig den entscheidenden Schritt voraus zu sein. Doch während die Resistenzen ständig weiter zunehmen, geht die Zahl der jährlich neu auf den Markt kommenden Antibiotika kontinuierlich zurück. Bei dem Forum Mensch-Natur-Technik "Von der Wunderwaffe zum stumpfen Schwert: Auf der Suche nach neuen Antibiotika" nahmen die Experten im Herrenhäuser Schloss deshalb Stellung zu der Frage, wie und wo die Wissenschaft versucht, neue Wirkstoffe zu finden. Die Zuhörer erfuhren, was die Entwicklung neuer Antibiotika so schwierig macht und welche gesellschaftlichen Maßnahmen nötig sind, um Resistenzen einzudämmen. Die Idee zur Veranstaltung basiert auf der Zusammenarbeit mit dem European Academies Science Advisory Council: Dieser Zusammenschluss nationaler Wissenschaftsakademien von EU-Mitgliedsstaaten hatte sich bereits 2014 auf Einladung der VolkswagenStiftung im Herrenhäuser Schloss zu dem Thema beraten.
"Die meisten Bakterien sind gute Freunde"
"Wir mögen unsere Mikroorganismen nicht", leitete Prof. Dr. Werner Solbach, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Lübeck, den ersten Vortrag des Abends ein. Das sei aber grundlegend falsch. "Die meisten sind gute Freunde", sagte der Mikrobiologe und erläuterte, dass die Bakterien in unserem Körper ein wunderbares Ökosystem bilden. Und selbst wenn manche krankmachende Keime darunter eine Infektion auslösen, würden wir das aufgrund unseres guten Abwehrsystems in der Regel gar nicht bemerken. "Wenn unser Organismus einmal nicht gewinnt, zeigen wir Symptome, die von grippeähnlich bis hin zur Blutvergiftung reichen", erklärte Solbach. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir diese krankmachenden Erreger mit Antibiotika in den meisten Fällen in den Griff bekommen. Das Problem ist allerdings, dass es kein Antibiotikum gibt, das nur einen einzelnen isolierten Bakterienstamm bekämpfen kann, weswegen auch andere, unserem Körper wohlgesonnene Keime, getötet werden.
Um das Thema Einsatz von Antibiotika bei Tieren ging es unter anderem auch im zweiten Vortrag des Abends. Da nachgewiesen werden kann, wenn resistente Bakterienstämme wie MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) von Tieren auf den Menschen übertragen wurden, geht aus den Statistiken des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes hervor, dass dies gerade in den Regionen der Fall sei, wo viele Stallungen sind. Dr. Martina Scharlach, Epidemiologin der Behörde, zeigte dies am Beispiel des Raums Osnabrück/Emsland, in dem sich viele große Schweinezuchtbetriebe befinden. Generell werden die meisten MRSA-Fälle im Land allerdings im Großraum Hannover festgestellt. Das liege zum einen an der Vielzahl der Krankenhäuser, zum anderen an der Bevölkerungsdichte, erklärte Scharlach, die kurzfristig für den erkrankten Prof. Dr. Walter Ried als Expertin eingesprungen war.
MRSA muss nicht krankmachen
Die Gefahr sei allerdings statistisch gesehen sehr gering, dass wir von MRSA besiedelt werden. "Und selbst wenn, heißt das nicht, dass wir auch krank sind", betonte Scharlach und kritisierte die Medien, in denen häufig von "Killerkeimen" die Rede ist. Neben der Erfassung und Auswertung von Resistenzen ist man beim Landesgesundheitsamt deshalb auch um Aufklärung bemüht. Für Solbach ist das allerdings zu wenig, wie er in der anschließenden Diskussionsrunde betonte. 16 Bundesländer hätten 16 Landesgesundheitsämter – "aber bei solch einem wichtigen Thema würde ich mir wünschen, dass es darüber hinaus noch eine zentrale Stelle gäbe, die mehr Einfluss hat."
Neben Solbach und Scharlach nahmen auf dem Podium auch Dr. Muna Abu Sin, Epidemiologin am Robert-Koch-Institut, und Prof. Dr. Markus Nett, Pharmazeut am Leibniz-Institut für Naturstoffforschung und Infektionsbiologie am Hans-Knöll-Institut in Jena, Platz. Die Moderation übernahm Dr. Daniel Lingenhöhl vom Wissenschaftsportal "spektrum.de". Nett berichtete unter anderem vom aktuellen Zustand des Antibiotika-Repertoires. "Im Extremfall haben wir aktuell nur noch einen Stoff, die wir einsetzen können, wenn alle anderen keine Wirkung mehr zeigen", sagte der Pharmazeut. Umso wichtiger sei es, neue Wirkstoffe zu finden. Doch viele Verbindungen, die sich in der Natur finden – die meisten Wirkstoffe wurden in der Vergangenheit bei Mikroorganismen entdeckt –, sind inzwischen bekannt. Die Forscher suchen deshalb nach neuen Wegen. Nett etwa versucht es bei räuberischen Bakterien, die sich zum Teil auch auf krankmachende Keime stürzen. Erste Erfolge kann er bereits vorweisen.
Auch die Politik ist in der Verantwortung
Allerdings sei es sehr schwierig, vielversprechende Stoffe von der Forschung in die industrielle Produktion zu übertragen, meinte Nett. "Die Zulassungsbestimmungen sind sehr hoch, Antibiotika sehr kurzlebig" – das lohne sich für viele Unternehmen einfach nicht. "Man muss sich fragen, ob die gängigen Marktmechanismen in diesem Kontext so greifen können", meinte Dr. Muna Abu Sin. Eine Überlegung wäre, ob bei einem so wichtigen medizinischen Thema nicht auch staatliche Anreize geschaffen werden müssten. Immerhin: "Das Thema Antibiotika ist inzwischen in der Politik angekommen", resümierte Solbach. Stephan Fuhrer