Weltverbesserung selbstgemacht

Carsharing, Foodsharing, Do-it-yourself – das 28. Herrenhäuser Gespräch drehte sich um neue Formen des Konsumierens und Produzierens und wie diese die Gesellschaft verändern könnten.
Veranstaltungsbericht zum 28. Herrenhäuser Gespräch am 18. September 2014"Pioniere und Prosumer – Eine Politik des Praktischen?" mit Dr. Kora Kristof, Dr. Elisabeth von Thadden, Prof. Dr. Stephan Rammler und Prof. Dr. Harald Welzer
Zu Gast beim Herrenhäuser Gespräch war unter anderem Prof. Dr. Stephan Rammler. Er ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)
Pioniere und Prosumer – Eine Politik des Praktischen?

"Können wir durch individuelles und gemeinschaftliches Verhalten in den Lauf der Welt eingreifen, ihn korrigieren?" mit dieser Frage eröffnete Moderator Stephan Lohr am 18. September die Diskussionsrunde im Auditorium von Schloss Herrenhausen. Eine Frage, die sich immer mehr Menschen stellen. Es sind nicht mehr wenige, die zumindest ihre Welt verändern wollen und andere Formen des Produzierens und Konsumierens ausprobieren, um zukunftsfähige Lebensstile und Wirtschaftsweisen zu entwickeln.

Prosuming – eine wirkmächtige Bewegung?

Das Wort "Prosumer" ist eine Kombination der englischen Begriffe producer (Produzent) und consumer (Konsument). Ein Prosumer ist also gleichzeitig Produzent und Verbraucher einer Ware oder Dienstleistung. Was das genau bedeutet, versuchte Stephan Lohr mithilfe der Podiumsgäste zu erörtern. Dabei stellte sich schnell heraus, dass der Begriff nicht ganz klar zu definieren ist. "Im Grunde sind wir alle ein bisschen Prosumer", sagte Dr. Kora Kristof, Leiterin der Grundsatzabteilung der Umweltbundesamtes. Immer mehr Menschen bauten selbst Gemüse an oder teilten verschiedene Geräte mit Freunden, statt diese jeweils selbst zu kaufen. Der zweite Podiumsgast, Prof. Dr. Stephan Rammler, sieht Prosuming vor allem im Bereich Mobilität: "Wer mobil ist, ist Prosumer." Der Mobilitäts- und Zukunftsforscher lehrt an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und leitet dort das Institut für Transportation Design. Jeder, der mit dem Auto oder Rad unterwegs sei, könne sich die Frage stellen "Wen nehme ich mit?".

Ohne die Ansätze der neuen Prosuming-Entwicklung herunterspielen zu wollen, wandte Prof. Dr. Harald Welzer, Professor für Soziologie an der Europa-Universität Flensburg und Mitbegründer der gemeinnützigen Stiftung Futurzwei, ein, dass die Idee der gemeinsamen Praktiken des Konsumierens nicht ganz neu sei. Man könne auch das Angebot öffentlicher Bibliotheken oder Schwimmbäder so interpretieren. Handelt es sich also nur um die Renaissance bereits geübten gesellschaftlichen Verhaltens, das durch eine veränderte Ökonomie als – digital vorangetriebene – Innovation verkauft wird? Nicht nur Dr. Elisabeth von Thadden, Literaturredakteurin bei der ZEIT, versteht sowohl die Umnutzung von Vorhandenem und das Erinnern an frühere Praktiken, als auch Neuerfindungen als Bestandteile des Prosumings. So sei die nachhaltige Energieerzeugung in den Solarsiedlungen von Rolf Disch oder mit Hilfe der Volksbatterie von Felix von Borck ein Beispiel für Prosuming mit Innovationscharakter. "Ich glaube, dass Prosuming mehr ist, als einfach nur klug ein Auto teilen."

Die Weltverbesserer in Theorie und Praxis

Doch welche Ambitionen genau stecken hinter dem Trend des Selbermachen und Teilen? Wollen die Pioniere des Prosuming vorhandene Strukturen verbessern und nachhaltiger machen oder zielen sie auch einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel? Kora Kristof sieht hier zwei Seiten: Einerseits versuche die Industrie den Konsumenten immer mehr einzubinden, um die Produkte zu verbessern. Andererseits gehe aber ein starker Impuls von jungen Menschen aus, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen und ihr Leben selbst gestalten wollen. Dies sei nicht immer durch den Gedanken der Nachhaltigkeit gesteuert, betonte sie.

Mit ihm auf dem Podium saß Dr. Kora Kristof, Leiterin der Grundsatzabteilung des Umweltbundesamtes, die eine klare Definition des Begriffs "Prosumer" nicht ohne weiteres für möglich hält. (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)

Eine dynamische sozialen Bewegung unter jungen Menschen beobachtet auch Elisabeth von Thadden. Auf der kürzlich von engagierten jungen Leuten veranstalteten internationale Degrowth-Konferenz in Leipzig, seien die zentralen Ziele ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und eine Gesellschaft jenseits von Wachstumszwängen gewesen. Von Thadden war erstaunt, wie professionell, international und zugleich positiv diese durchschnittlich etwa 22-Jährigen dem Thema begegnet seien. Diese Art der Bewegungen entstehe unter jungen Leuten vor allem seit der Finanzkrise, so die Beobachtung von Harald Welzer. Und dies beschränke sich nicht auf theoretische Appelle zur Verbesserung der Welt, sondern sei gekoppelt an eine tatsächlich veränderte Lebenspraxis.

Zwischen Ökonomie und Ökologie

Doch welche Spielräume kann diese Bewegung, die der aktuellen Wirtschaftsordnung widerspricht, erobern? Wie lassen sich die oft von reichlich Idealismus getragenen Weltverbesserungsideen realpolitisch und gesamtgesellschaftlich umsetzen? Als Beispiel für gelungene Politisierung nachhaltiger Prosuming-Trends nannte Stephan Rammler die Bürgerbeteiligung in Kopenhagen. Hier würden durch ein hohes Maß an Beteiligungsmöglichkeiten die Rahmenbedingungen geändert und damit auch die Lebenspraxis: Ein Beispiel sei die Abstimmung zum Ausbau von Radwegen, womit eine andere Art von Mobilität gefördert werde.

Die Literaturredakteurin und Sachbuchautorin Dr. Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT) versteht sowohl die Umnutzung von Vorhandenem und das Erinnern an frühere Praktiken, als auch Neuerfindungen als Bestandteile des Prosumings. (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)

Die Politik habe die Möglichkeit, die kapitalistische Vereinnahmung in verschiedenen Bereichen zu begrenzen, indem sie die nötigen Rahmen setzt. Harald Welzer hingegen setzt weniger Vertrauen in die Politik. Er kritisierte, dass sich viele Ideen vom Kapitalismus als "super-smarte" Geschäftsmodelle vereinnahmen ließen. Viel interessanter wären Praxisformen, die das Potential haben, konventionelle Geschäftsmodelle zu verändern. Von Thadden sieht die Entscheidung der Politisierung ganz klar in den Parlamenten, WEIL es "die Vielfalt der Akteure ist, die das Politische umgestaltet". Dass Politisierung gelingen kann, verdeutlichte sie am Beispiel des dreifach verglasten Fensters, das zu Beginn eine "Idee für Narren und Träumer" zu sein schien und inzwischen EU-Norm ist. Für dieses Beispiel würde sie oft belächelt, erzählte sie, aber: "Es funktioniert, und Funktionieren finde ich wunderbar!"

Prof. Dr. Harald Welzer, Mitbegründer der Stiftung Futurzwei, verglich die Idee der gemeinsamen Praktiken des Konsumierens mit dem Angebot etwa von öffentlichen Bibliotheken oder Schwimmbädern. (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)