Wie kann man Wissenschaftsfeindlichkeit begegnen – das Projekt KAPAZ
In einer kürzlich veröffentlichten Studie beschreibt der Forschungsverbund KAPAZ Erscheinungsformen der Wissenschaftsfeindlichkeit. Nun entwickelt er Kapazitäten und Kompetenzen für den Umgang damit.
Ob Wissenschaft jemals im Elfenbeinturm stattgefunden hat, im Schutz der Abgeschiedenheit von öffentlichen Diskursen, darüber kann man trefflich diskutieren. Klar ist: In den vergangenen Jahrzehnten engagieren sich professionelle Wissenschaftskommunikator:innen und Forschende zunehmend im Dialog mit Öffentlichkeiten. Sie vermitteln nicht nur Wissen sondern auch Vorstellungen davon, wie Wissenschaft funktioniert. Und ihr Engagement trifft angesichts der aktuellen Krisen auf eine steigende Nachfrage der Gesellschaft nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und fachlicher Einordnung von Fakten.
Angriffe führen zu Silencing
"Die Covid-Pandemie war in dieser Hinsicht eine entscheidende Zeit, weil sich die Bedeutung wissenschaftlicher Expertise für politische Entscheidungen angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen deutlich gezeigt hat. Wissenschaftliche Politikberatung war selten so präsent in öffentlichen Diskursen", sagt die Sozialwissenschaftlerin Nataliia Sokolovska, die sich besonders für Kommunikation an Schnittstellen von Politik und Wissenschaft interessiert. "Gleichzeitig stieg die Unzufriedenheit in der Öffentlichkeit. Ein Grund dafür: Es fehlte der Wissenschaft an klaren Strategien dafür, Unsicherheiten zu kommunizieren."
Der Wunsch der Bevölkerung nach Gewissheit traf auf die rasante Weiterentwicklung des Erkenntnisstandes – und an den Reibungsflächen entfachten sich Anfeindungen gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich öffentlich äußerten. "Und Covid hat nicht nur das Phänomen wissenschaftsfeindlicher Angriffe verdeutlicht sondern auch die Folgen gezeigt", sagt Sokolovska: "Die persönlichen Anfeindungen verursachen Schwierigkeiten auf individueller Ebene und Forschende ziehen sich möglicherweise zurück aus der Kommunikation oder gar aus ihrem Themengebiet."
Warum dieses "Silencing" weit mehr als ein persönliches Problem der Betroffenen darstellt und wie es zur Gefahr für Wissenschaft und Gesellschaft wird, auch das erklärt Sokolovska, die selbst eine erfahrene Kommunikatorin ist: Werden Forschende zum Schweigen gebracht – man könnte auch sagen, in den Elfenbeinturm verbannt – kann das so weit führen, dass bestimmte Themen gar nicht mehr bearbeitet werden. "Besonders problematisch sind in dieser Hinsicht Angriffe, die die Zuverlässigkeit der Expertise einer Person in Frage stellen", sagt sie weiter. Das habe eine Nature-Umfrage unter Forschenden ergeben, die während der Covid-Pandemie mit ihrer Arbeit in die Öffentlichkeit getreten sind. Selbst wenn sich Wortlaut und Intensität dieser Anzweiflungen in im Rahmen rechtlicher Grenzen bewegen, können sie dem Ruf der Person schaden. Auch innerhalb der wissenschaftlichen Community können Irritationen und Verwerfungen die Folge sein; Betroffene verlieren unter Umständen an Rückhalt in ihrem professionellen Umfeld. "Gezielte Angriffe marginaler politischer Gruppen können also weitreichende Effekte haben."
Um mehr darüber zu lernen, wie Wissenschaftsfeindlichkeit entsteht und in Erscheinung tritt, wie sie sich auswirkt und wie ihren Folgen vorzubeugen ist, hat sich der Forschungsverbund Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Hassrede und Wissenschaftsfeindlichkeit (KAPAZ) gegründet, den die VolkswagenStiftung fördert. Nataliia Sokolovska koordiniert die Arbeit im Verbund vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin aus, wo sie das Forschungsprogramm Wissen und Gesellschaft leitet.
"Das System lernt, vorzubeugen"
Die Forschung im interdisziplinären Verbund hat mehrere Ebenen, wie die Koordinatorin erläutert: "Auf der theoretischen Ebene geht es darum, eine robuste Wissensbasis zum Phänomen der Wissenschaftsfeindlichkeit zu schaffen." Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage unter Wissenschaftler:innen hat zum Beispiel empirische Ergebnisse zum Ausmaß der Angriffe in Deutschland generiert. "Sie liefert uns belastbare Daten zu Erfahrungen verschiedener Gruppen – etwa nach Geschlecht, Alter, Karrierestufe oder Disziplin." Rechtswissenschaftler:innen untersuchen, wie verschiedene Anfeindungen juristisch zu bewerten sind. Und Kommunikationsforschende setzen sich konzeptionell mit dem Begriff der Wissenschaftsfeindlichkeit auseinander: Wie hat er sich verändert, wie in verschiedenen disziplinären Communities etabliert?
Die weiteren Ebenen der Forschung bei KAPAZ haben deutlichen praktischen Bezug. "Wir wollen institutionelle Kapazitäten für den Umgang mit Anfeindungen aufbauen und individuelle Kompetenzen dafür stärken", sagt Sokolovska. "Das Schöne an unserem Verbund ist, dass wir neue Erkenntnisse der Forschung direkt in der Umsetzung mit Verbundpartnern aus der Praxis erproben können, die reichlich Expertise und vielfältige Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation mitbringen."
Projektbeteiligte der Verbundpartner entwickeln gemeinsam mit den Wissenschaftler:innen Schulungen für Kommunikationsverantwortliche an Forschungseinrichtungen und solche für Forschende, die sich in der Kommunikation engagieren. "Im Moment sind wir noch dabei, die Bedarfe für solche Schulungen zu erheben", sagt Sokolovska. Befragte Wissenschafter:innen wünschten sich beispielsweise Verhandlungsfähigkeiten und Skills im Konfliktmanagement. In den geplanten Kursen sollen sie aber nicht nur lernen, auf mögliche Angriffe zu reagieren. "Wir wollen ihnen auch helfen, Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die Anfeindungen von vornherein vorbeugen."
Auch der kürzlich gegründete Scicomm-Support ist Partner im KAPAZ-Verbund. Die Hotline für Forschende und Wissenschaftskommunikator:innen, die Unterstützung bei Angriffen und Konflikten suchen, wurde federführend vom Bundesverband Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog ins Leben gerufen und ist seit Juli 2023 aktiv. Geschulte Berater:innen leisten hier Ersthilfe bei Problemen mit Bezug zur Wissenschaftskommunikation, darüber hinaus bietet der Support rechtlichen Beistand und vermittelt bei Bedarf psychologische Beratung. "Der Scicomm-Support bringt kontinuierlich aktuelle reale Erfahrungen im Kontext von Wissenschaftsfeindlichkeit in alle Projektbereiche ein", sagt Nataliia Sokolovska. "Das sichert uns eine Art 'Realitätscheck': Für die Erforschung des Phänomens ist es wichtig, die Probleme zu kennen, mit denen sich Betroffene tatsächlich auseinandersetzten müssen." So arbeiten die Rechtswissenschaftler:innen eng mit den Anwält:innen des Scicomm-Supportes zusammen, um die Erscheinungsformen wissenschaftsfeindlicher Angriffe zu erfassen und zu beschreiben. Erkenntnisse aus den Recherchen, der Befragung sowie aus Erfahrungen mit anderen KAPAZ-Aktivitäten fließen dann in den Ausbau des SciComm-Supports.
Die Bereitschaft, zu verstehen
Nataliia Sokolovska hofft, dass ihre Arbeit dazu beitragen kann, persönliche und systemische Resilienz gegen wissenschaftsfeindliche Angriffe zu stärken. "Das System wird lernen, den Folgen solcher Angriffe vorzubeugen", meint sie. Doch ihre Forschung im Verbund hat ein höheres Ziel. "Wir wollen verstehen: Was gewährleistet langfristig einen offenen Diskurs?"
Den offenen Diskurs der Wissenschaft mit Öffentlichkeiten zu schützen und zu fördern, ist Sokolovskas entscheidendes Anliegen. "Forschung ist zunehmend gefragt, gesellschaftliche Relevanz zu zeigen", beobachtet sie. Drängende Herausforderungen für die Menschheit, wie der Umgang mit künstlicher Intelligenz, das sich wandelnde Klima oder globale Pandemien verschafften der Wissenschaft Konjunktur. "Qualitätsgesicherte Evidenz ist gerade in Krisen relevant. Und das autonome Wissenschaftssystem Deutschlands kann eine gute Quelle dafür sein." Die intrinsische Motivation der Forschenden sei hoch, sich den gesellschaftlich drängenden Themen zu widmen und darüber zu reden. Dafür brauche es jetzt mehr institutionelle Unterstützung, Anreize und Vermittlung von Skills. Damit Erkenntnisse aus der Forschung auch Wirksamkeit entfalten können, braucht es gleichzeitig das Vertrauen der Bevölkerung in das Wissenschaftssystem. "Um das zu bewahren, reichen nicht allein Skills in der Kommunikation", gibt Sokolovska zu bedenken. "Es setzt auf der anderen Seite auch die Bereitschaft voraus, zu verstehen." Diese Bereitschaft der Öffentlichkeit zu stärken, erfordere gesellschaftliche Aufklärung und schulische Bildung - "eine Baustelle, die wir angehen müssen!"
Am Projektverbund beteiligen sich folgende Institutionen:
- Verbundkoordination: Alexander von Humboldt Institut für Internet and Gesellschaft (HIIG)
- Berlin School of Public Engagement and Open Science (BSOPE)
- Bundesverband Hochschulkommunikation (BV_HKOM)
- Freie Universität Berlin (FU)
- Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)
- Das Leibniz-Institut für Medienforschung │ Hans-Bredow-Institut (HBI)
- Museum für Naturkunde (MfN)
- Wissenschaft im Dialog (WID)