Wirkt sich die Art der Geburt auf die Gesundheit aus? Projekt untersucht Darmflora von Neugeborenen

Wenn sich bei Neugeborenen die Darmflora nicht richtig entwickelt, können Erkrankungen die langfristige Folge sein. Welche Faktoren die Keimbesiedlung des Darms bestimmen, untersucht Prof. Dr. Dorothee Viemann in einem neuen stiftungsgeförderten Forschungsprojekt.

Die Besiedlung des Darmes mit Keimen ist essentiell, sowohl für die Entwicklung des Darms als auch für ein ausgewogenes Gleichgewicht der Darmflora (das sogenannte Mikrobiom). Ohne dieses Gleichgewicht und eine Vielfalt der besiedelnden Keime steigt das Risiko, später unter entzündlichen Erkrankungen zu leiden oder Allergien und Adipositas zu entwickeln, wie Forscher heute wissen. Die sogenannte Neonatalperiode, die bei der Geburt beginnt und bis zum 28. Lebenstag anhält, stellt das kritische Zeitfenster der Besiedlung dar.

In der Neonatalperiode bestehen verschiedene Faktoren, die einen Einfluss auf die Darmbesiedlung haben können. Beispielsweise kann eine antibiotische Behandlung oder auch eine künstliche Umgebung, wie sie bei Frühgeborenen oftmals notwendig ist, solch einen Einfluss nehmen. Auch der Weg der Geburt, ob natürlich oder per Kaiserschnitt, kann Auswirkungen auf die Darmbesiedlung haben.

Bislang wird davon ausgegangen, dass die mikrobielle Vielfalt und ein Gleichgewicht durch Mikroorganismen aus dem Vaginaltrakt zustande kommt, die bei einer Kaiserschnittgeburt eben nicht auf das Kind übertragen werden. Kürzlich stellten Forscher in einer Studie jedoch fest, dass Säuglinge, die durch einen Not-Kaiserschnitt geboren wurden, sogar eine größere Bakterienvielfalt ihres Mikrobioms aufweisen. Dies lässt darauf schließen, dass auch unter Berücksichtigung bereits bekannter Einflussfaktoren die entscheidenden molekularen Mechanismen, die die Darmbesiedlung kontrollieren, noch nicht identifiziert sind. Fokussieren sich wissenschaftliche Studien bisher vor allem darauf , welchen Einfluss das Mikrobiom auf die Gesundheit und die Abwehrkräfte des Menschen haben, möchte Prof. Dr. Dorothee Viemann von der Medizinischen Hochschule Hannover in ihrem Projekt "Endogenous Alarmins Determine Successful Gut Colonization by Warranting Immune Tolerance" den Schwerpunkt darauf legen, die Bedingungen im menschlichen Körper für den gesunden Aufbau und Erhalt der Darmflora zu untersuchen. Dazu wird sie von der VolkswagenStiftung für ihr Vorhaben mit rund 500.000 Euro über drei Jahre innerhalb der Initiative "Offen – für Außergewöhnliches" gefördert.

Tragen Proteine die Verantwortung?

Die Forscherin hat bereits einige Vorarbeiten geleistet und stellt für ihr neues Projekt die Hypothese auf, dass nicht die Mikroorganismen, die den Darm besiedeln, entscheidend für ein funktionierendes Immunsystem sind, sondern spezielle Proteine, die der eigene Körper produziert, sogenannte Alarmine: Bei gesunden Neugeborenen werden Alarmine bei einer natürlichen Geburt in großen Mengen ausgeschüttet. Die Menge dieser Proteine in der Muttermilch sowie in Fäkalien und Seren der Säuglinge ist zum Zeitpunkt der Geburt extrem hoch und sinkt im Laufe der ersten zwei Lebenswochen auf ein Niveau ab, wie es bei gesunden Erwachsenen vorherrscht. Zudem hat die Wissenschaftlerin herausgefunden, dass ein Zusammenhang zwischen geringerer Ausschüttung der Alarmine bei Geburten, die nicht dem "Normalfall" entsprechen (z. B. bei einem geplanten Kaiserschnitt oder Frühgeburten), und einer unausgewogenen Darmbesiedlung besteht. Prof. Dr. Viemann geht deshalb davon aus, dass eine zu geringe Freisetzung von Alarminen bei der Geburt Störungen der Darmbesiedlung nach sich ziehen kann, was letztendlich Krankheiten verursachen kann. Ihre Hypothesen will die Forscherin im Rahmen des Projekts und bezogen auf die unterschiedlichen Arten der Geburt untersuchen. Sie wird ihr Vorhaben in Kooperation mit weiteren Forscherinnen und Forschern sowie Krankenhäusern aus dem ganzen Bundesgebiet umsetzen.

Hintergrund Förderinitiative "Offen für Außergewähnliches"

Für Projektideen, die einen innovativen, außergewöhnlichen und fächerübergreifenden Forschungsansatz verfolgen, sich jedoch außerhalb der aktuellen Förderinitiativen bewegen, gibt es das Angebot "Offen – für Außergewöhnliches". Hier fördert die Stiftung herausragende Ideen, quer zu Disziplinen und zum Mainstream. Dies gilt unter anderem auch für die Entwicklung vollkommen neuer Methoden. Das Angebot ist also Ausnahmefällen vorbehalten. Anders gesagt: Wer hier zum Zuge kommen will, muss mit seinem Vorhaben nicht nur höchsten wissenschaftlichen Maßstäben genügen, sondern auch plausibel darstellen können, dass sich im Rahmen der Förderangebote anderer Institutionen keine Unterstützung für das Projekt finden lässt. Antragstellung ist nach persönlicher Rücksprache mit dem/der zuständigen Ansprechpartner(in) möglich.

Bakterien wie Escherichia coli besiedeln bereits kurz nach der Geburt den menschlichen Darm. (Foto: Eric Erbe; Colorierung: Christopher Pooley – ARS Image Gallery Nr. K11077-1)