Wissenschaftskommunikation: Wahrnehmung und Emotionen
#Wissenschaftskommunikation #WissKomm ZentrenIm Kiel Science Communication Network wollen Forschende herausfinden, was wir fühlen, wenn wir sehen. Unter diesem Aspekt erforschen sie Kommunikation aus dem Fachgebiet ‘Evolving Health’. Um zu verstehen, wie die emotionale Wirkung visueller Medien zustande kommt, nehmen sie den Prozess der Gestaltung und den der Wahrnehmung genau unter die Lupe.
Das Thema ‘Evolving Health’ ist in Kiel als Forschungsschwerpunkt entwickelt worden und integriert Aspekte der Evolutionsforschung in medizinische Fragestellungen. Wie beides zusammenhängt, erklärt Hinrich Schulenburg, Professor der Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: "Die Gesundheit des Menschen basiert auf dem Zusammenwirken von Umweltfaktoren und evolutionären Prozessen auf Mensch und Krankheitserreger." Didaktik- und Designforschende im Kiel Science Communication Network (KielSCN) untersuchen, wie visuelle Medien Inhalte der vielschichtigen ‘Evolving Health’-Forschung transportieren können und wie dabei Emotionen erzeugt werden.
Melanie Keller ist Professorin am IPN – Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und leitet als Principal Investigator den Forschungsschwerpunkt ‘Wahrnehmung und Wirkung' im KielSCN. "Wir untersuchen visuelle Medien durch die psychologische und emotionale Brille", sagt sie. Dabei möchte sie herausfinden: "Welche Parameter einer Visualisierung beeinflussen, wie Menschen sie wahrnehmen und wie sie sie nutzen?" Bisher würden in der Wirkforschung vorrangig Ergebnisse von Kommunikation gemessen - etwa Änderungen im Verständnis oder Verhalten, sagt Keller. "Der Prozess der Nutzung wird dabei ausgeblendet." Die Forschenden im KielSCN beobachten nun Schritt für Schritt: Auf welchen Wegen explorieren Nutzende die verfügbare Information? Was empfinden sie dabei? Und wie beeinflussen bestimmte Merkmale einer Darstellung, ob Menschen Inhalte verstehen, und ob dies Auswirkungen auf ihr Verhalten oder ihre Einstellung hat? "Wenn wir den Prozess der Nutzung besser verstehen, können wir bestimmte Arten von Visualisierung besser mit bestimmten Ergebnissen korrelieren", sagt Keller.
Begriffe klären, Theorien entwickeln
Die Didaktikerin mit psychologischen Forschungsschwerpunkten arbeitet eng verzahnt mit Designforschenden zusammen. Am Anfang ihrer Zusammenarbeit stand die Herausforderung, gemeinsame Workflows über die Grenzen der Disziplinen hinweg zu entwickeln. "Wir mussten Begriffe und unterschiedliche Modelle klären, auf die wir uns jeweils beziehen", sagt Keller. Erst dann konnten sie gemeinsame Theorien entwickeln. Inzwischen sei die Zusammenarbeit der Disziplinen auf theoretischer wie praktischer Ebene sehr fruchtbar: "Fragen und Ideen speisen sich aus unseren jeweiligen Disziplinen und entwickeln sich im Arbeitsprozess immer weiter." Gemeinsam mit dem Informationsdesigner Björn Schmidt hat Keller beispielsweise ein Visual Essay zum Thema der Antibiotikakrise entwickelt. Das Format bindet neben oder anstelle von Text Visualisierungen ein, die auch interaktiv sein können. Verschiedenen Spielarten ihres Visual Essays testen sie nun in einer Online-Studie auf ihre emotionale Wirkung: Nehmen Menschen das Risiko zunehmender Antibiotikaresistenzen unterschiedlich wahr, je nachdem, wie das Essay gestaltet ist?
Co-Design: Prozesse beschreiben
Den gemeinsamen Entwicklungsprozess neugierig beobachtet hat Didaktikerin Carolin Enzingmüller, ebenfalls Principal Investigator am IPN. Sie leitet den Forschungsschwerpunkt Co-Design und interessiert sich für die Interaktion zwischen Wissenschaftler:innen und Gestaltenden während einer gemeinsamen Produktentwicklung. Auch für sie stand am Beginn ihrer Arbeit Theoriebildung und Begriffsarbeit mit den Forschenden aus dem Design und den Fachdisziplinen des Bereichs Evolving Health. "Jede Disziplin bringt eigene Bezugswerte, Arbeitsweisen und Ziele in die Arbeit ein. Wir mussten klären: Was steckt für uns eigentlich hinter dem Begriff Co-Design, einem in der Wissenschaftskommunikation derzeit häufig verwendeten, schillernden Begriff."
Jetzt beobachtet und dokumentiert Enzingmüller beispielhafte Co-Design Prozesse. "Es geht darum zu etablieren, ob es typische Phasierungen gibt, wie Abstimmungen erfolgen, Ziele geklärt werden. Kurz: Wer interagiert wann wie mit wem?", beschreibt sie. Dabei arbeitet sie prototypische Züge heraus, um zugrunde liegende Prinzipien abzuleiten und ihre Erkenntnisse übertragbar zu machen. "Anhand der Ergebnisse können wir Co-Design Prozesse in der Wissenschaftskommunikation unterstützen und Reflexionshilfen für die Planung geben." In weiteren Schritten geht es darum, Nutzende als dritte Instanz neben Fachwissenschaftler:innen und Gestaltenden in die Entwicklung einzubeziehen. Enzingmüller fragt nicht nur, wie das am sinnvollsten und effektivsten geschehen kann. Sie fragt auch: "Was bringt das überhaupt?" Welchen Wert hat es, Zielgruppen einzubinden - schafft es zum Beispiel Vertrauen? "Und wie können wir Effekte von Co-Design quantitativ nachweisen?"
Zielgruppen einbinden
Keller und ihre Kolleg:innen wollen unterdessen mit weiteren Designs verstärkt der Frage nachgehen, mit welchem Informationsbedürfnis verschiedene Zielgruppen visuelle Medien nutzen. Ihre Vision: Designs, die sich in der Nutzung ad hoc an bestimmte Zielgruppen anpassen. Solche Designs könnten künftig auf einer online Plattform entstehen, die die Kieler Forschenden mit dem Praxispartner Spektrum der Wissenschaft aufbauen. Unter dem Arbeitstitel ‘Living Lab’ entsteht hier ein "geschützter Raum, in dem Design- und Kommunikationsforschende mit Öffentlichkeiten interagieren können, um bestimmte Gestaltungsideen zu testen", beschreibt Keller. Während eines Fellowship-Aufenthaltes am KielSCN hat der renommierte Wissenschaftskommunikator Carsten Könneker verschiedene angedachte Tools und Ansätze getestet und mögliche Workflows zwischen Beteiligten entworfen. "Wir nutzen das Living-Lab derzeit als Real-Labor, in dem wir herausfinden, welchen Ansprachen und Formate sich eignen, um Zielgruppen in den Prozess der Gestaltung einzubinden", sagt Carolin Enzingmüller. "Wir explorieren, was vorstellbar ist, was funktioniert und was in der Praxis umzusetzen ist."
Ansprechpartner für Forschung, Design, Emotionen
Eine Zielgruppe, die dem KielSCN durch die Beteiligung der Didaktiker:innen am IPN quasi in den Schoß gelegt ist, sind Jugendliche und junge Erwachsene. Eine weitere wichtige Zielgruppe mit Blick auf Gesundheitsthemen sind Patient:innen und ihre Angehörigen. "Gerade wenn Forschende aus dem Bereich Evolving Health auch in der Klinik aktiv sind, spüren sie den großen Bedarf, das Verständnis für Vorgänge zu fördern und die Zusammenarbeit zwischen Behandelnden und Behandelten zu verbessern", sagt Ilka Parchmann, Co-Sprecherin des KielSCN. "Viele Forschende suchen die Zusammenarbeit mit uns - sowohl unsere Expertise im Co-Design als auch unser Verständnis von Emotionalität ist für sie hilfreich." Das KielSCN entwickelt sich daher in der Region zu einem Ansprechpartner für Wissenschaftskommunikationsdesign und dessen Erforschung.
Hürden der interdisziplinären Arbeit
Das KielSCN ist mit einem Leitungsteam aus drei Professor:innen und drei Postdocs gestartet. Eine weitere Ebene bilden die inzwischen fünf Promovierenden. Sie arbeiten sehr stark zwischen und mit den beteiligten Disziplinen, von der Gesundheitsforschung über die Gestaltung bis zur Didaktik und Psychologie. Das ausgeprägt interdisziplinäre Arbeiten bringt - neben wertvollen Denkanstößen - auch gewisse Spannungen mit sich. "Auf der Ebene von Ideen und Innovationen sind interdisziplinäre Fragestellungen oft die spannendsten", meint Carolin Enzingmüller. "In der Umsetzung einzelner Studien stellen die Verschiedenheiten der Disziplinen uns allerdings auch vor Herausforderungen", bekennt Melanie Keller, und beschreibt das Dilemma der Doktorand:innen: "Eine Promotion muss in erster Linie in ihrer Disziplin erfolgreich sein", sagt Keller. "Sie gewinnt zwar durch die Einordnung in die Forschung anderer Disziplinen, aber die Promovierenden müssen ihren Fokus wahren."
Auch Publikationskanäle und Karrierewege seien im Wissenschaftssystem noch immer vorrangig disziplinär strukturiert. Als Betreuende nehmen die Principal Investigator ihre Verantwortung sehr ernst, den wissenschaftlichen Nachwuchs durch diese Rahmenbedingungen zu navigieren. "Wir möchten ihnen Teilhabe an interdisziplinärer Forschung ermöglichen, dürfen ihnen aber für ihre Laufbahn in einer Disziplin keine Steine in den Weg legen", sagen sie. Innerhalb des KielSCN tragen die Promovierenden jedenfalls entscheidend zur fruchtbaren Zusammenarbeit der Fachleute aller beteiligten Disziplinen bei. "Schon allein dadurch, dass sie sich ein Büro teilen, stehen sie ständig im regen Austausch miteinander", sagt Carolin Enzingmüller. Sie tragen ihr Verständnis interdisziplinärer Denkansätze aus dem KielSCN in die verschiedenen Forschungscommunities. Und, so hofft Melanie Keller: "Über die allmähliche Etablierung interdisziplinärer Arbeiten und Karrierewege wird sich langfristig auch unser noch stark disziplinär geprägtes Forschungssystem verändern."