Zwischen Tag und Traum
Warum sich dieser Reorganisationsprozess im Schlaf abspielt, hat die Forschung noch nicht abschließend geklärt. Laut Dr. Michael Czisch, Physiker am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, gehen Wissenschaftler derzeit davon aus, dass der Mensch sich dabei im "Offline-Modus" befindet. Dabei, erläuterte der Forscher, ist das Hirn nicht wie am Tag im Wachzustand gleichzeitig mit dem Verarbeiten der vielen Informationen beschäftigt. Czisch, der bei Studien mit Psychiatriepatienten mithilfe eines Magnetresonanztomografen (MRT) die Aktivierung und Kommunikation verschiedener Hirnareale im Schlaf sichtbar macht, wies vor allem auf die Bedeutung des Schlafs für das emotionale Lernen hin – beziehungsweise für negative Auswirkungen auf die Psyche im Falle von Schlafstörungen, die zu den Begleiterscheinungen beinahe jeder psychischen Erkrankung gehören. "Schlafstörungen können zudem anscheinend direkt einen Teufelskreis verursachen, der bestimmte Muster der emotionalen Verarbeitung so massiv stört, dass sie sich zu einer psychiatrischen Erkrankung entwickeln können", berichtet Czisch.
Die Bedeutung des Schlafens im Wandel der Epochen
Einen theoriegeschichtlichen Abriss zur Bedeutung des Schlafs in verschiedenen Epochen und Kulturen lieferte die Philosophin Prof. Dr. Petra Gehring von der Technischen Universität Darmstadt. Während in unserer heutigen Zeit der Schlaf eher als unwichtig und zeitraubend gilt, war die nächtliche Ruhephase in der griechischen Antike eine gleichwertige Ordnung gegenüber dem Wachsein, das die Philosophin als "Wach-Wirklichkeit" bezeichnet. Trauminhalte, z.B. göttliche Visionen, wurden ganz selbstverständlich als Informationen in das wache Leben integriert. So konnten etwa Hinweise, die man im Traum von Asklepios, dem Gott der Heilkunde, erhielt, in der Wach-Wirklichkeit als Gesundheitsratgeber dienen. Im Gegensatz zu dieser positiven Bewertung des Schlafens und Träumens kam es laut Gehring im christlichen Mittelalter zu einer Abwertung des Nicht-Wachseins als Form des Kontrollverlusts über das Ich. In der Neuzeit verlor laut Gehring diese Negativbewertung jedoch an Bedeutung. Das im Schlaf Erlebte wurde zu einem irrationalen Phänomen erklärt, das neben der Wach-Wirklichkeit als zweitrangig gilt.
Gemeinsamkeiten zwischen moderner Schlafforschung und antiker Philosophie
Erstaunt zeigte sich die Philosophin Gehring darüber, dass moderne Hirnforschung und antike Philosophie ähnliche Erklärungen zu der Frage liefern, weshalb wichtige Prozesse wie die Reorganisation des Gedächtnisses im Schlaf ablaufen. Zur Erläuterung verwies sie auf den Philosophen Aristoteles, der von 384 bis 324 v. Chr. lebte: Auch wenn Aristoteles nicht vom Gehirn, sondern von der Seele sprach, finde sich bei dem antiken Philosophen eine Argumentationsfigur, die dem psychologischen Erklärungsmodell vom Schlaf als Reorganisationsphase des Gedächtnisses erstaunlich ähnlich sei: Laut Aristoteles sei es wichtig, dass zu bestimmten Zeiten "nicht so viel von außen reinkommt", damit die Träume als Nachbilder von äußeren Eindrücken ungestört sortiert werden können. Beeindruckt von den Parallelen zwischen der Theorie des Aristoteles und aktuellen Forschungspositionen seines Fachs zeigte sich auch Jan Born: "Es ist wahrscheinlich der Vorteil des Schlafes, dass das Gehirn in der Lage ist, umfassend und unabgelenkt die Gesamtschau auf das, was am Tag erlebt wurde, durchzuführen."
Dreams are my reality: Luzide Träume
Während der Podiumsdiskussion, die von Kirsten Baumbusch aus der Redaktion der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft moderiert wurde, hatte das Publikum Gelegenheit, Fragen an die Experten zu stellen. Auf besonders großes Interesse stießen dabei die sogenannten luziden Träume. Sie sind auch als klarsichtige Träume bekannt und zeichnen sich dadurch aus, dass die träumende Person erkennt, dass sie gerade träumt. Mitunter kann sie sogar Trauminhalte steuern. Luzides Träumen lässt sich trainieren und wird unter anderem in der Alptraumtherapie eingesetzt. Beispielsweise kann die träumende Person sich mit bestimmten wiederkehrenden Traumelementen klar machen, dass es sich bei dem Erlebten lediglich um einen Traum handelt und kann so die Traumhandlung verändern. Als berühmtes Beispiel für ein solches Traumelement nannte Michael Czisch den sich endlos drehenden Kreisel aus dem Kinofilm "Inception" (2010) von Matrix-Regisseur Christopher Nolan. Dieser physikalisch unmögliche Vorgang dient im Film dem Protagonisten Cobb als Hinweis darauf, dass sein Erleben sich im Traum und nicht in der Realität – oder genauer: in der "Wach-Wirklichkeit" – abspielt. Dr. Andrea Glang-Tossing