Interview

10.000 Euro Förderprämie für Gutachtende

#Begutachtung

Würfel mit verschiedenen Symbolen, darunter Glühbirne und Figur mit Doktorhut, ein Würfel mit der Aufschrift "Fördermittel"

Forschende, die bis 30. Juni 2024 an Peer Reviews für die VolkswagenStiftung teilgenommen haben, konnten an einer Verlosung von 25 x 10.000 Euro an zusätzlichen Fördermitteln teilnehmen. Henrike Hartmann und Selahattin Danisman erläutern das ungewöhnliche Experiment.

Vorhaben, die die VolkswagenStiftung fördert, sollen höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Diese Qualität zu sichern, wäre ohne die Vielzahl von Gutachtenden im In- und Ausland nicht möglich. Als Wertschätzung für deren Engagement und Arbeit startet die Stiftung ein Experiment: Per Losentscheid erhalten 25 Gutachter:innen jeweils 10.000 Euro – sofern sie diesen Betrag wiederum in Wissenschaft investieren. Etwa in internationale Kollaborationen und Wissensaustausche, für Workshops, Programme für Gastwissenschaftler:innen oder Lab-Besuche.

Im Interview erklären Henrike Hartmann, stellv. Generalsekretärin der VolkswagenStiftung, und Selahattin Danisman, der zuständige Förderreferent, das Konzept.

Frau Hartmann, Herr Danisman, die Stiftung stellt insgesamt 250.000 Euro an zusätzlichen Fördermitteln für Gutachtende bereit. Was steckt hinter dieser Idee?

Hartmann: Der Peer Review ist auch bei uns ein unverzichtbares Qualitätssiegel, wenn es darum geht, Anträge zu bewerten. Wir haben hohe Ansprüche bei den beantragten Projekten, aber auch bei deren Begutachtung. Andererseits können wir die Aufwände, die dadurch entstehen, eher nur symbolisch honorieren. Wir wissen das und haben deshalb überlegt, wie wir unsere Wertschätzung für die Arbeit der Gutachtenden weiteren Ausdruck verleihen können. Auch wie wir ihnen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen.

Danisman: Herausgekommen ist das Feldexperiment "Zusätzliche Fördermittel für Gutachtende", das formal seit dem 1. Juli 2023 läuft. Aus allen Personen, die bis zum 30. Juni 2024 für die Stiftung begutachten, werden im randomisierten Verfahren 25 "Gewinner:innen" ermittelt. Einzige Bedingung: Um teilzunehmen, muss man vorher eine kurze Beschreibung abliefern, in welchem wissenschaftlichen Kontext die 10.000 Euro ausgegeben werden sollen. Länger als eine Formularseite soll dieser "Antrag" aber gar nicht sein. 

Portrait einer Frau

Dr. Henrike Hartmann ist stellvertretende Generalsekretärin und leitet die Abteilung Förderung der VolkswagenStiftung.

Hartmann: Was mir an unserer Idee besonders gefällt, dass es eine wissenschaftsimmanente Honorierung ist. Wir geben Gutachtenden Geld, das diese wieder ins Wissenschaftssystem zurückgeben. Das ist ein struktureller Unterschied zu den Aufwandsentschädigungen, die von vielen Förderern für Begutachtungen gezahlt werden – und die ja auch durchaus kritisch gesehen werden.

Was wird denn kritisiert?

Hartmann: Es gibt eine verbreitete Auffassung, dass der Peer-to-Peer-Review Teil der Aufgabe von Professor:innen ist und deshalb nicht extra vergütet werden soll. Diese Logik haben sich öffentliche Förderer zu eigen gemacht. Wir zahlen eine Aufwandsentschädigung auch als Motivationshilfe, weil wir häufig internationale Forschende oder solche ansprechen, die selbst in dem jeweiligen Programm gar nicht antragsberechtigt sind. Der Betrag ist aber weit davon entfernt, die Aufwände der Gutachtenden wirklich angemessen zu belohnen.

Wie kann ich teilnehmen?

An der Verlosung im Juli 2024 nehmen automatisch alle Gutachtenden teil, die im Zeitraum 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024 für uns tätig waren. Die 25 ausgelosten Personen müssen dann nur eine kurze Beschreibung des wissenschaftlichen Zwecks einreichen, für den sie 10.000 Euro einsetzen wollen.  
 

Die Pilotphase für diesen Feldversuch endet am 30. Juni 2024. Danach kommen dann alle Kurzanträge in eine Lostrommel?

Hartmann: Ich finde den Begriff "Verlosung" in diesem Zusammenhang irreführend. Das klingt mir zu trivial und konterkariert unsere Absicht: Mit den zusätzlichen Fördermitteln möchten wir uns für die geleistete Arbeit der Gutachtenden bedanken. Wer an der Verteilung teilnimmt, hat also vorher bereits eine Menge Aufwand betrieben. Das ist nicht vergleichbar mit dem Kauf eines Loses auf dem Rummelplatz. 

Danisman: Für die Stiftung geben jedes Jahr hunderte Gutachter:innen ihr Bestes. Aber nur 25 von ihnen können in diesem Experiment Fördermittel bewilligt bekommen. Zwar sind 10.000 EUR im Forschungskontext ein kleiner Betrag. Aber manchmal fehlt genau dieses "Kleingeld", um etwa den Forschungsaufenthalt von Doktorand:innen zu finanzieren, die mal in einem anderen Labor eine Methode erlernen sollen oder für die Organisation eines kleinen Workshops mit Kolleg:innen aus dem Ausland. 

Wo ist die Stiftung sonst noch mit Innovationen unterwegs, die im Kontext von Begutachtung stehen?

Danisman: Eigentlich betrachten wir alle Prozesse des Förderhandelns mit dem Ziel, diese gerechter und effizienter zu gestalten. Das beginnt schon bei der Antragsberatung und geht bis zur Bewilligung. Aus den Erfahrungen mit Videokonferenzen, die wir alle während der Pandemie gesammelt haben, sind zum Beispiel "Online-Sprechstunden" entstanden. Die organisieren wir häufig einige Monate vor dem nächsten Stichtag eines Förderangebots. Dann haben Interessierte Gelegenheit, ein, zwei Stunden lang ihre Fragen in großer Runde mit Fachreferent:innen aus der Stiftung zu klären. An solchen Videocalls nehmen nicht selten hundert Interessierte teil. In der Förderinitiative "Momentum" wiederum bitten wir Antragstellende, ihre Projekte in einem ersten Schritt in 90 Sekunden langen Videos zu skizzieren. Nachdem eine Begleitforschung diesen Ansatz positiv bewertet hat, führen wir dieses Format weiter.

Portrait eines Mannes

Dr. Selahattin Danisman ist Förderreferent im Team "Wissen über Wissen" der VolkswagenStiftung.

Hartmann: Vor wenigen Tagen hat das Kuratorium zugestimmt, dass wir einen "Distributed Peer Review"-Prozess ausprobieren. Das heißt, Antragstellende werden gleichzeitig zu Begutachtenden. Andere Förderer haben damit schon Erfahrungen gesammelt. Was Innovationen im Begutachtungsprozess anlangt, erhoffen wir uns Impulse auch aus unserer Beteiligung am "Research on Research Institute" (RoRi ). Etwa aus der Arbeitsgruppe "The Future of Peer Review", in der die Stiftung mitwirkt. Eine andere Frage, mit der wir uns meiner Meinung nach dringend auseinandersetzen müssen: Wie verändern die vielen KI-Tools den Begutachtungsprozess?  

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich aus dem Experiment "Zusätzliche Fördermittel für Gutachtende"?

Danisman: Natürlich interessiert uns, wofür die Bewilligten 10.000 Euro ausgeben würden. Sollten da Muster erkennbar werden, könnte das strukturelle Auswirkungen im Förderhandeln der Stiftung haben. Zudem sind wir gespannt, ob dieses Incentive dazu beiträgt, Gutachtende enger an die Stiftung zu binden. Und schließlich sind wir gespannt, wie andere Akteure im Wissenschaftssystem auf unsere Idee reagieren werden. Alle Experimente, die wir veranstalten, werden aufmerksam evaluiert, häufig auch mit Begleitforschung. Es ist Teil unserer Förderstrategie, neue Impulse ins Wissenschaftssystem zu geben und strukturverändernd zu wirken.

Hartmann: Experimentierfreude ist ein strategisches Merkmal unseres Förderhandelns. Unsere Unabhängigkeit unterscheidet uns von anderen, vor allem öffentlichen, Förderern und gibt uns mehr Spielraum, Ungewöhnliches auszuprobieren. Dass ein Experiment auch mal nicht den erhofften Erfolg bringt, nehmen wir gern in Kauf. Das passiert uns aber, in aller Bescheidenheit, sehr, sehr selten.  

Begutachtung

Es entspricht seit jeher dem Selbstverständnis der Stiftung, nachvollziehbare und tragfähige Förderentscheidungen zu treffen. Diese sind nicht denkbar ohne ein adäquates Begutachtungsverfahren, das unverzichtbarer Bestandteil unserer guten Stiftungspraxis ist.

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