"Black Box Science" blickt hinter die Kulissen der Wissenschaftskultur
Freigeist-Fellow Rainer Kaufmann traut sich aus der Komfortzone - und erlaubt mit seinem Video-Projekt "Black Box Science" einen ungeschönten Blick auf die Wissenschaftskultur. Ein Interview über die Realitäten des wissenschaftlichen Alltags und die Entstehung des Kommunikationsprojekts.
Der gegenwärtige Wissenschaftsbetrieb ist oftmals ziemlich undurchsichtig – und zielt darauf ab, polierte Ergebnisse zu liefern und geradlinige, erfolgreiche Karrieren hervorzuheben. Der Physiker Rainer Kaufmann forscht als Freigeist-Fellow an der Universität Hamburg mit seinem Projekt "Super-Resolution Fluorescence Cryo-Microscopy" an einem neuen Mikroskopieverfahren, das die Vorteile der Kryo-Immobilisierung von biologischen Präparaten mit der erhöhten Auflösung der sog. super-auflösenden Fluoreszenzmikroskopie verbindet. Er möchte mit "Black Box Science" (https://blackboxscience.org) die Wissenschaftskultur (selbst)kritisch ausleuchten, vor allem um dem wissenschaftlichen Nachwuchs einen realistischeren Einblick zu gewähren und zur Diskussion anzuregen. Das Kommunikationsprojekt wird im Modul "Wissenschaftskommunikation und Wissenstransfer" gefördert.
Herr Kaufmann, was hat Sie bewogen, das Projekt "Black Box Science" zu starten?
Ich halte es für wichtig, dem wissenschaftlichen Nachwuchs einen realistischen Einblick in die Wissenschaftskultur zu geben. Mit einem "realistischen Einblick" meine ich, dass deutlich werden muss, dass Wissenschaft nicht immer geradlinig und nach vorgegeben Mustern verläuft.
Es gibt viele Baustellen in unserer Wissenschaftskultur: Wir müssen uns in Zahlen messen lassen und mit dem damit einhergehenden Publikationsdruck umgehen, die häufig unsicheren Anstellungsverhältnisse aushalten oder die negativen Seiten des kompetitiven Forschungsbetriebs. Diese Missstände müssen wir diskutieren und beheben - ein etwas selbstkritischerer Blick kann dabei enorm helfen.
Ich erinnere mich beispielsweise gerne an meine frühe Doktorandenzeit zurück, als ich noch eine ganz andere Sicht auf die Wissenschaft hatte. Aus der Perspektive eines jungen und naiven Physikers, der praktisch nicht wusste, was ein "Impact Factor" ist, stellte sich der Wissenschaftsbetrieb deutlich anders dar, als aus meiner heutigen Sichtweise. Für viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommt dieser Einblick in die tatsächlichen Realitäten der Wissenschaft wie ein Schock, da typischerweise nach außen hin ein stark idealisiertes Bild kommuniziert wird.
Wie kamen Sie auf die Idee zum Projekt?
Die Grundidee zum Projekt ergab sich aus einer zufälligen Diskussion mit einem Filmemacher und promovierten Philosophen, den ich noch aus meiner Zeit in Heidelberg kenne. Wir hatten uns zufällig in Berlin getroffen, kurz nachdem ich mein Freigeist-Fellowship erhalten hatte, und uns darüber ausgetauscht, wie undurchsichtig die Wissenschaftskultur doch oft ist – angefangen von dem vielleicht naiven Einstieg in die Wissenschaft als Doktorand bis zum Nachwuchsgruppenleiter, der relativ plötzlich in das kalte Wasser des Managements, der Verwaltung, der Mitteleinwerbung geworfen wird.
Daraus entstand die Idee, etwas mehr Licht in den Alltag zu bringen, mit einem Fokus nicht auf den wissenschaftlichen Inhalten, wie es typischerweise in der Wissenschaftskommunikation der Fall ist, sondern auf all dem, was uns darum herum beschäftigt.
Was bietet "Black Box Science"?
Das Projekt stützt sich hauptsächlich auf kurze Videobeiträge zu ausgewählten Themen. Gestartet sind wir mit dem Video "Hiring the right people". Weitere Folgen werden die typischen oben erwähnten "Baustellen" sein aber auch die Dynamik in der Arbeitsgruppe und die Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern thematisieren. Zusätzlich gibt es im Blog auf unserer Webseite blackboxscience.org weitere Informationen und Diskussionen zu den jeweiligen Themen der Videobeiträge. Hier kann jeder über eine Kommentarfunktion seine Meinung äußern und sich so an der Diskussion beteiligen. Der Videoblog zielt darauf ab, mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen und über Missstände und natürlich auch Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren.
Wie sind Sie an die Realisierung des Projekts herangegangen?
Für die Umsetzung des Projekts ist die Erstellung der Videobeiträge von entscheidender Bedeutung. Dabei gibt es so viele Kleinigkeiten zu beachten die am Ende alle zusammenpassen müssen - vom Licht beim Videodreh, über den Schnitt, welcher den Takt im finalen Video vorgibt, bis zu Animationen um Inhalte zu verstärken. Hier bin ich natürlich auf Expertise von außen angewiesen. Ein weiterer wichtiger Teil von Black Box Science ist unsere Webseite, die unter anderem auf dem Blog die Möglichkeit bietet, tiefer in Themen einzutauchen und diese zu diskutieren. Entscheidend ist am Ende auch, es zu schaffen, die anvisierte Zielgruppe auf das Projekt aufmerksam zu machen. Für diese beiden Bereiche habe ich mir ein Team aus Digital-Designer und Digital-Marketing-Consultant mit an Bord geholt.
Von der Bewilligung des Projekts bis zur Veröffentlichung der ersten Videos waren etwa 6 Monate vergangen. Dies beinhaltet aber nicht nur die pure technische Umsetzung, sondern auch einen großen Teil an Experimentieren und Diskutieren zur Findung eines konkreten finalen Formats, das ohne erstes Videomaterial nicht möglich gewesen wäre.
Beleuchten Sie die Wissenschaftskultur Ihres Fachgebietes oder lassen sich die Einblicke auf andere Fächer übertragen?
Die Wissenschaftskultur unterscheidet sich natürlich zwischen den Fachgebieten, aber auch zwischen unterschiedlichen Ländern, unterschiedlichen Institutionen. Vieles trifft sicherlich fächerübergreifend zu. Manches ist aufgrund anderer Strukturen entsprechend anders. Als Naturwissenschaftler in der Biophysik kann ich natürlich die Wissenschaftskultur auch nur aus dieser Sichtweise beleuchten. Hier bietet das Projekt Black Box Science aber auch den Ansatzpunkt, allgemeine Themen fächerübergreifend zu diskutieren, gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen und von den unterschiedlichen Kulturen zu profitieren.
Verträgt sich der Zeitaufwand mit Ihrer Forschungsarbeit?
Der zusätzliche Zeitaufwand ist definitiv höher, als ich es zunächst eingeschätzt hatte. Selbst mit einem schlagkräftigen Team zur Unterstützung des Kommunikationsprojekts bleibt vor allem alles Inhaltliche natürlich bei einem selbst hängen. Das bedeutet, einige zusätzliche Wochenend- und Nachtschichten muss man definitiv einplanen. Ich denke aber nicht, dass dieser zusätzliche Aufwand aus der Sicht der reinen wissenschaftlichen Arbeit, eine verlorene Zeit ist. Man profitiert durch die Erweiterung der eigenen Reichweite und die Vernetzung auch indirekt für die wissenschaftliche Arbeit.
Was hat Sie am meisten überrascht während der Produktion?
Vieles entwickelt eine gewisse Eigendynamik. Das kann einerseits getrieben sein durch eine geplante Feedback-Schleife mit der Zielgruppe, die den Verlauf beeinflusst, andererseits aber auch durch unvorhersehbare Ereignisse. Viele gute Ideen entstehen erst während der Produktions-Phase, vorher ist alles nur ein relativ abstrakter Plan. In dem Moment, wo man aber ein Stück des fertigen Produkts sehen kann und etwas Konkretes als Diskussionsgegenstand in den Händen hat, eröffnen sich einem oft neue, ungeahnte Möglichkeiten. Einen großen Einfluss hat hierbei auch die Kreativität der anderen am Projekt beteiligten Personen.
Was würden Sie anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern raten, die ein Outreach-Projekt starten wollen?
Sucht euch auf jeden Fall etwas aus, das euch Spaß macht! Das erleichtert das Engagement und den Zeitaufwand und man hat dann weniger das Gefühl, dass die eigene Forschung darunter leidet. Von ganz entscheidender Bedeutung sind auch die Partner, mit denen man das Projekt durchführt. Das ist mit Sicherheit eine der schwierigsten Aufgaben, da man typischerweise als Wissenschaftler niemanden in der professionellen Wissenschaftskommunikation oder der Freelancer-Szene kennt. Ich würde raten, sich frühzeitig umzuschauen, PR-Leute an der eigenen Forschungseinrichtung zu kontaktieren und auch im Bekanntenkreis Menschen anzusprechen, die in der Wirtschaft tätig sind und sich mit z.B. Marketing und Design auskennen. Wie bereits erwähnt, ist dieser Part enorm wichtig, um die Inhalte des Projekts zum Zielpublikum zu bringen.
Ich würde auch empfehlen, das Projekt so zu planen und zu gestalten, dass man sich selbst zwingt, etwas aus der eigenen Komfortzone heraus gehen zu müssen. Auf diese Art und Weise kann die Umsetzung des Kommunikationsprojekts auch zur persönlichen Weiterentwicklung und der Stärkung bestimmter kommunikativer oder anderer sozialer Kompetenzen beitragen. Außerdem hat auch David Bowie schon gesagt: "Go a little bit out of your depth, and when you don't feel that your feet are quite touching the bottom, you're just about in the right place to do something exciting."