Arbeitsplatz von Wolfgang Kießling mit Querschnitten der Untersuchungsobjekte
Interview

Der Klimakrise mit Urzeitwissen begegnen

Bettina Wurche

Der Welt-Klimarat IPCC berief den Paläobiologen Wolfgang Kießling als einen der Hauptautoren des nächsten Weltklimaberichts. Ein Interview über Prognosen, Parallelen und seinen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise.

Prof. Dr. Wolfgang Kießling erforscht am Geozentrum Nordbayern in Erlangen die Auswirkungen früherer Klimakatastrophen auf Organismen und Ökosysteme. Die VolkswagenStiftung unterstützte ihn von 2006 bis 2010 mit einer Lichtenberg-Professur, seit 2019 wird er in der Initiative "Weltwissen – Kleine Fächer" gefördert.

Herr Kießling, Sie arbeiten mit am nächsten Weltklimabericht. Was genau ist Ihre Rolle? 

Als Hauptautor der Arbeitsgruppe 2 "Impacts, Adaptation, Vulnerability" trage ich – gemeinsam mit 260 Kolleginnen und Kollegen aus 63 Ländern und aus den verschiedensten Disziplinen – den aktuellen Forschungsstand zum Thema Klimaauswirkungen auf natürliche und gesellschaftliche Systeme zusammen. Persönlich bin ich dafür verantwortlich, dass historische Aspekte von Klimaauswirkungen ausreichend berücksichtigt werden.

Was können wir aus der Urzeit lernen? 

Erkenntnisse aus extremen Ereignissen in der Erdgeschichte können uns helfen, aktuelle Vorgänge zu verstehen und dem Klimawandel besser zu begegnen. So kam es immer wieder zu globalen Artensterben, die wesentlich durch massive Klimaveränderungen ausgelöst wurden: An der Perm-Trias-Grenze vor 252 Millionen Jahren gab es solch ein einschneidendes Ereignis. Damals waren weltweit 90 Prozent der im Ozean lebenden und 75 Prozent der an Land lebenden Arten ausgestorben, auch alle Korallenriffe. Der extreme Temperaturanstieg von 10°C, Sauerstoffarmut in den Meeren und Ozean-Versauerung waren dafür verantwortlich. 

Wie kam es dazu? 

Zum Ende des Perms gab es in Sibirien den größten Mega-Vulkanismus der Erdgeschichte. Dabei wurden große Mengen von Kohlenstoffdioxid und Methan in die Atmosphäre befördert, was zu schnellem Temperaturanstieg und saurem Regen führte. Heutige Vulkanausbrüche verlaufen übrigens anders und führen eher zu einer Abkühlung. 

Prof. Dr. Wolfgang Kießling

Korallen zählen zu den Lieblingsobjekten in Kießlings Forschung - hier steht er vor einem Schrank mit wertvollen Fossilien.

Wie kann man die Meerestemperatur von vor 250 Mio. Jahren rekonstruieren?

Dazu analysieren wir die Sauerstoff-Isotope in den mikroskopisch kleinen Zähnen früher Wirbeltiere. Das Verhältnis der Sauerstoff-Isotope mit den Massenzahlen 18 und 16 im Meer ist temperaturabhängig. Im Massenspektrometer können wir die Anteile quantitativ aufschlüsseln und so die Temperatur schätzen.

Korallen zählen zu Ihren Lieblingsobjekten. Was zeigen sie Ihnen? 

Schnell wachsende Riff-Korallen wie die tropischen Steinkorallen benötigen mikroskopisch kleine Algen als Symbionten. Der Korallenpolyp erhält von der Alge Zuckerverbindungen, eine Grundlage seiner Ernährung. Da die Algen Sonnenlicht für ihre Photosynthese brauchen, leben die Korallen in den oberen Meeresschichten. Bei zu hohen Temperaturen stoßen sie die Algen ab und verbleichen; die Korallen wachsen schlechter oder sterben sogar. 2015/16 war in den Tropen eine große Korallenbleiche zu beobachten.

220 Millionen Jahre alte Riffkoralle

Als Zeugen von Klima- und Umweltveränderungen sind Objekte wie diese 220 Millionen Jahre alte Riffkoralle für Wolfgang Kießling weit mehr als schöne Fossilien.

Und das gab es auch schon früher?

An der Perm-Trias-Grenze waren die Veränderungen sogar so dramatisch, dass alle Steinkorallen ausgestorben sind. Bei den Klimaschwankungen der Eiszeiten und Zwischeneiszeiten des Pleistozäns – also vor etwa 100.000 Jahren – sind die Korallen in kühlere Gewässer "ausgewichen" – in größere Tiefen oder in die höheren Breitengrade. 

Wie ist Ihre Prognose für die tropischen Riffe von heute? 

Im Moment sieht es nicht danach aus, dass viele Korallenarten durch die Meereserwärmung aussterben. Tropische Korallenriffe werden aber stark zurückgehen oder sogar verschwinden. Die Korallen wachsen zu langsam, um noch größere Strukturen aufzubauen. Außerdem wandern viele Korallen in ehemals kühlere Gebiete, das heißt ihre Larven verdriften mit der Strömung und bilden an anderer Stelle Riffe – wie gerade vor der japanischen Küste. Ein Rückgang der Korallenriffe hätte massive Auswirkungen: Lebende Riffe sind wichtige Lebensräume für Fische, die Nahrungsgrundlage vieler Menschen, und ein wirksamer Küstenschutz. 

Welche Parallelen zu früheren Entwicklungen sehen Sie noch? 

Der Vulkanismus und somit der Stress hatte im Perm schon vor dem katastrophalen Artensterben begonnen, das zeigen uns die Ammoniten dieser Zeit. Bei unseren Grabungen haben wir in den letzten vier Metern der Ablagerungen vor der Perm-Trias-Grenze – das entspricht einem Zeitraum von etwa 700.000 Jahren – entdeckt, dass die kalkigen Schalen dieser Kopffüßer kleiner werden und einfacher gemustert sind. Ähnliche Verzwergungen gibt es heute bei einigen Fischarten, offenbar eine Reaktion auf die Erwärmung der Ozeane – auch das hat Auswirkungen auf die menschliche Nahrungsgrundlage.

Welchen Beitrag können Sie konkret leisten, um der Klimakrise zu begegnen?

Aus unserer 1999 begonnenen Forschungsdatenbank Paleobiology Database ermitteln wir signifikante Muster, gewinnen Erkenntnisse zur Evolution, zur Biodiversität sowie zum Aussterben von Arten und leiten daraus evolutive Regeln ab. Damit können wir Voraussagen ableiten, wo sich globaler Klimawandel am stärksten auswirkt und wo am ehesten Refugien für Pflanzen und Tiere zu erwarten sind.

Die Paläobiologie also als "Zukunftsdisziplin"?

Wir wissen, dass natürliche Klimakatastrophen in der Vergangenheit weltweit zum Aussterben ganzer Organismen-Gruppen und Ökosysteme geführt haben. Wir müssen den Klimawandel also sehr ernst nehmen! Heute kommen zur extrem schnellen Erderwärmung noch andere, menschengemachte Faktoren dazu, wie etwa die Zerstörung von Lebensraum für Landnutzung. Ein Massenaussterben ist kaum mehr abzuwenden. Die Paläontologie ist zwar ein kleines Fach, aber mit unseren Erkenntnissen aus der Erdgeschichte stehen wir bei der Analyse und Bewältigung der derzeitigen Klimakrise an vorderster Front. 

Prof. Dr. Wolfgang Kießling

Professor Wolfgang Kießling war Lichtenbergprofessor der VolkswagenStiftung von 2006 bis 2010 und forscht am Geozentrum Nordbayern in Erlangen.

Screenshot IPCC Report

Weltklimabericht

Der sechste Sachstandsbericht des IPCC ist für Juni 2022 geplant. Ein Synthesereport bündelt die Reports der drei Arbeitsgruppen und enthält die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. Mehr Informationen zu bereits erschienenen Berichten bietet die Webseite des IPCC.

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Hintergrund: Die Förderinitiative "Weltwissen – Strukturelle Stärkung 'kleiner Fächer'"

Mit der Initiative "Weltwissen" zielt die VolkswagenStiftung auf eine nachhaltige Stärkung strukturell prekärer Wissensgebiete in Forschung und Lehre. Das Förderangebot ist letztmalig ausgeschrieben, Stichtag ist der 12. April 2021. Alle Informationen unter Weltwissen - Strukturelle Stärkung 'kleiner Fächer'.

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Hintergrund: Lichtenberg-Professuren der VolkswagenStiftung

Mit den Lichtenberg-Professuren unterstützt die VolkswagenStiftung herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, frühzeitig ein eigenständiges neues und interdisziplinäres Forschungsfeld an einer Universität ihrer Wahl fest zu verankern. Mittlerweile wurde die Initiative beendet und durch die Nachfolge "Lichtenberg-Stiftungsprofessuren" ersetzt.