Zwei Frauen, im Hintergrund eine Illustration mit einem Mikrofon und farbigen Elementen
Interview

"Night Science" – Wie die VolkswagenStiftung Freiraum für kreatives Denken schafft

Wissenschaft braucht Kreativität – doch im Forschungsalltag fehlt dafür oft der Raum. Mit dem neuen Förderangebot "Night Science" will die VolkswagenStiftung das ändern. Warum und wie unkonventionelle Denkprozesse gefördert werden, erklären die Förderreferentinnen Franziska Rönicke und Victoria Abakumovski im Interview. Online-Sprechstunden: 15. und 24. April, Stichtag: 5. Juni 2025

 

Zuerst braucht es den kreativen Funken.

Franziska Rönicke

Was ist eigentlich Night Science?

Dr. Victoria Abakumovski: Am besten versteht man Night Science in der Abgrenzung zur Day Science. Day Science ist die klassische Forschungsarbeit – hypothesengeleitet, systematisch und geschieht meist tagsüber, zum Beispiel im Labor. Night Science dagegen beginnt, wenn der Kopf frei ist. 

Dr. Franziska Rönicke: Ja, Night Science ist unkontrollierter, unkonventioneller – Gedankensprünge, Intuition und Unsicherheit sind ausdrücklich erlaubt. Es geht um kreatives Denken, um das Entdecken neuer Ideen, abseits festgelegter Strukturen. Dann kommen die berühmten spontanen "Shower Thoughts", für die man Muße braucht.

Night Science – Raum für kreatives Denken

Interdisziplinäre Tandems aus jeweils zwei Wissenschaftler:innen aus den Natur-, Lebens- oder Technikwissenschaften können Fördermittel beantragen, um ihre kreativen Fähigkeiten im Forschungskontext zu erweitern und unkonventionelle Ideen, Hypothesen oder Theorien zu entwickeln. Online-Sprechstunden: 15. und 24. April um 10:30 Uhr, Stichtag: 5. Juni 2025

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Es geht also um Kreativität – aber ist "Night Science" tatsächlich Wissenschaft?

Rönicke: Kreativität ist essenziell für die wissenschaftliche Arbeit, auch wenn das oft übersehen wird. Neue Hypothesen oder Forschungsfragen entstehen ja nicht aus reiner Rationalität – zuerst braucht es den kreativen Funken. Erst danach folgt die faktenbasierte Überprüfung von Hypothesen, also die "Day Science". 

Warum hat die VolkswagenStiftung dieses Förderangebot eingerichtet?

Abakumovski: Die Stiftung möchte riskante, disruptive Forschung unterstützen, die echte Durchbrüche ermöglicht. Dafür müssen wir auch an der Wurzel ansetzen – also nicht nur bereits bestehende Forschungsideen fördern, sondern den kreativen Prozess als unverzichtbaren Bestandteil der Grundlagenforschung etablieren. Das führt langfristig zum bedeutenden Erkenntnisfortschritt und zu Durchbrüchen in der Forschung, davon sind wir überzeugt.

Mit diesem Programm schließen wir eine Lücke in der Förderlandschaft.

Victoria Abakumovski

Und andere Förderer engagieren sich in diesem Bereich nicht?

Rönicke: Uns sind keine bekannt. Es gibt sehr kleine Programme, die etwa Zeit zum Lesen ermöglichen, oder auch Preise für kreative Projekte, dort geht aber niemand in Vorleistung. Wir schon.

Abakumovski: Mit diesem Programm schließen wir eine Lücke in der Förderlandschaft. Kreativität wird meist als selbstverständlich vorausgesetzt, aber nie finanziert – die Kapazitäten und Mittel dafür müssen also im Zweifel anderswo abgeknapst werden. Das ändern wir.

Night Science

Der Begriff "Night Science" wurde vom französischen Molekularbiologen und Nobelpreisträger François Jacob geprägt.

Der Biomediziner Prof. Itai Yanai, Ph. D. (New York University) und der Bioinformatiker Prof. Dr. Martin Lercher (HHU Düsseldorf) erklären die "Nachtwissenschaft" u. a. in einem Podcast.

Wer kann sich für "Night Science" bewerben?

Abakumovski: Wir fördern interdisziplinäre Tandems aus je zwei Wissenschaftler:innen. Damit wollen wir niederschwellig einen systematischen, fachübergreifenden Austausch fördern, ganz nach dem Motto "it takes two to think". Die "Science Buddies" sollen offen sein für ungewöhnliche Ansätze und für den interdisziplinären Austausch. Außerdem müssen sie von unterschiedlichen Forschungseinrichtungen kommen und vergleichbare Positionen im Wissenschaftssystem innehaben, also ein Tandem auf Augenhöhe, ohne Abhängigkeitsverhältnisse. 

Rönicke: Bewerben können sich promovierte Forschende aus dem Bereich Grundlagenforschung in den Natur-, Lebens- und Technikwissenschaften. Sie müssen an einer wissenschaftlichen Einrichtung angestellt sein und einen Vertrag haben, der mindestens ein Jahr über das Förderjahr hinausläuft. Das ist wichtig, da sie nur so ihre Erkenntnisse aus dem Förderjahr nachhaltig umsetzen können, in ihren Arbeitsgruppen oder auch in der Lehre. Das braucht Zeit.

It takes two to think!

Victoria Abakumovski

Abakumovski: Genau. Und die Promotion soll mindestens 4 Jahre zurück liegen. Für Wissenschaftler:innen zu Beginn der wissenschaftlichen Karriere wäre es kaum möglich, sich aus Forschung und Lehre zurückzunehmen, vielleicht auch weniger zu publizieren. Es ist aber wichtig, dass sich die Antragstellenden voll auf das Programm einlassen und Zeit investieren können. 

Und wie sieht das Förderangebot konkret aus?

Abakumovski: Wir stellen bis zu 200.000 Euro pro Tandem zur Verfügung und bieten eine Toolbox mit verschiedenen Maßnahmen an, aber die Antragstellenden können gerne schon hier kreativ werden und eigene Maßnahmen vorschlagen. Außerdem gibt es drei verpflichtende Workshops, um die Science Buddies zu begleiten und Kreativtechniken zu vermitteln.

Rönicke: Am Ende der Förderung steht dann kein klassischer Forschungsbericht, sondern eher ein Erfahrungsbericht. Mit den Erkenntnissen aus dem Feedback wollen wir die Initiative in den kommenden Jahren weiterentwickeln, um kreative Prozesse in der Wissenschaft noch besser zu fördern.

Wie werden die geförderten Tandems ausgewählt?

Abakumovski: Wir haben einen Fragenkatalog entwickelt, der mit dem Antrag eingereicht werden muss. Im Fokus stehen dabei persönliche Eigenschaften, die über rein fachliche Leistungen hinausgehen. Die Anträge prüfen wir dann intern nach vier Kriterien: Synergieeffekte im Team, Fachkompetenz der einzelnen Science Buddies, Experimentierfreudigkeit und Offenheit für Selbstreflexion. Aus den geeigneten Bewerbungen werden per Los 10 Tandems zur Förderung ausgewählt. 

Was sollten Bewerber:innen noch beachten?

Rönicke: Ehrlichkeit! Wir wollen keine Standardantworten, sondern authentische Einblicke, es ist also wichtig, sich auf die Fragen einzulassen, und es gibt da für uns auch kein richtig oder falsch.

Abakumovski: Und bitte keine KI-generierten Texte. Die Bewerbung soll die individuellen Persönlichkeiten der Forschenden widerspiegeln.

Rönicke: Was noch wichtig ist, zu wissen: Wir bewerten die Tandems als Ganzes, berücksichtigen also zum Beispiel auch Synergieeffekte zwischen den Science Buddies. 

Wann startet das Programm?

Rönicke: Am 5. Juni ist Stichtag, mit der Förderzusage können die ausgewählten Tandems im Oktober 2025 rechnen. Mit einem Auftaktworkshop im April 2026 beginnt dann ihr kreatives Forschungsjahr. Wir sind sehr gespannt!

Night Science – Raum für kreatives Denken

Interdisziplinäre Tandems aus jeweils zwei Wissenschaftler:innen aus den Natur-, Lebens- oder Technikwissenschaften können Fördermittel beantragen, um ihre kreativen Fähigkeiten im Forschungskontext zu erweitern und unkonventionelle Ideen, Hypothesen oder Theorien zu entwickeln. Online-Sprechstunden: 15. und 24. April um 10:30 Uhr, Stichtag: 5. Juni 2025

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