Pioniervorhaben für das Wissenschaftssystem: "Idealismus gehört dazu"

Portrait eines Mannes vor einem Bambus

Am 15. Oktober 2024 ist Stichtag für die Ausschreibung "Pioniervorhaben: Impulse für das Wissenschaftssystem". Was wichtig ist, erläutert Oliver Grewe aus der Förderabteilung im Gespräch. 

Wie verbessert man die strukturellen Bedingungen von Forschung und Lehre? Die Antwort: Zum Beispiel, indem man Forschende und Wissenschaftsmanager:innen fördert, die große Risikobereitschaft und eine originelle, im buchstäblichen Sinne "pionierhafte" Idee mitbringen. Das ist, kurzgefasst, das Konzept der Ausschreibung "Pioniervorhaben: Impulse für das Wissenschaftssystem". Interessierte können bis zum 15. Oktober 2024 ihre Ideenskizzen einreichen. Im Erfolgsfall gibt es bis zu 500.000 Euro Förderung. 

Allerdings: Die Erwartungen sind hoch! Worauf es bei der Bewerbung ankommt, erläutert Förderreferent Oliver Grewe, der im Profilbereich "Wissen über Wissen" für die Ausschreibung zuständig ist. 

Was ihnen fehlt, ist ein Experimentierraum [...]

Eines der großen Förderziele der Stiftung lautet, Zitat: "protoypische Verbesserungen von Strukturen und Prozessen im Wissenschaftssystem" herbeizuführen. Die Ausschreibung, die Sie betreuen, nimmt dieses Ziel in den Blick. Wie genau?

Oliver Grewe: Diese Ausschreibung ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Kann es gelingen, mit sehr wenigen Menschen und einem eher kleinen Budget das Wissenschaftssystem über ein Pionierprojekt an bestimmten Stellen entscheidend zu verbessern? Das wissen wir selbst nicht.  Aber wir wollen es herausfinden, denn wir stellen im persönlichen Austausch mit der Scientific Community immer wieder fest, dass es viele Leute mit tollen Ideen gibt. Was ihnen fehlt, ist ein Experimentierraum, in dem sie ihre Konzepte entwickeln und ausprobieren können. Diesen Experimentierraum wollen wir anbieten. Unsere Hoffnung ist es, dass das ein oder andere Konzept durch seine Ergebnisse überzeugt, so dass es von anderen adaptiert wird. Ein Bottom-up-Verfahren, gewissermaßen.

Welche Konzepte konnten diese "First Mover"-Erwartung bereits erfüllen?

Keines der bislang geförderten Projekte ist schon beendet. Alle sind noch mitten in der Arbeit. 

Können Sie trotzdem Beispiele nennen, von denen Sie sagen, solche Ergebnisse wünscht sich die Stiftung? 

Das kann ich mit einem Ausflug in die Fördergeschichte beantworten. 2011 hat die VolkswagenStiftung zusammen mit der Stiftung Charité das Pilotprogramm "Clinical Scientist" gestartet. Die Idee war es, Ärzt:innen in der Universitätsmedizin die Facharztausbildung zu ermöglichen, aber auch die Arbeit in der klinischen und translationalen Forschung. Wir sind zunächst mit acht Proband:innen gestartet. Dass das Konzept gut war, hat sich ziemlich schnell erwiesen. Dieser Pilot wurde dann zu einem Prototypen für die strukturierten "Clinician Scientist"-Programme, die wir heute kennen. Damals mussten auch die Lobbyverbände, die vorher strikt dagegen waren, einsehen, dass das eine gute Idee war. 2015 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Projekt als "Best Practice"-Modell ausgewiesen. Im Wissenschaftssystem ist das Konzept jetzt seit vielen Jahren etabliert. 

Ist das die Erwartungshaltung für jene Ideen, die bis zum 15. Oktober eingereicht werden?

Nein. Das Clinical Scientist-Programm soll nicht als Referenz oder Stilvorlage missverstanden werden!  Es geht ja gerade nicht darum, erfolgreiche Konzepte zu kopieren. Sonst wären es keine "Pioniervorhaben". Wir erwarten auch nicht, dass es eine Erfolgsgarantie gibt. Kreatives Scheitern ist ausdrücklich erlaubt. Was wir aber erwarten ist, dass Bewerber:innen ihre Idee tief durchdrungen haben, bevor sie ihre Unterlage einreichen. Wir erhalten pro Ausschreibung bis zu 120 Skizzen. Viele vermitteln aber bloß eine vage Idee, nach dem Motto: Ich probier das mal und wenn die Stiftung mich fördert, denke ich weiter darüber nach. So funktioniert das nicht. 

Impulse für das Wissenschaftssystem

Mit "Pioniervorhaben: Impulse für das Wissenschaftssystem" möchte die Stiftung Experimentierräume für grundsätzliche Neuerungen und wesentliche Verbesserungen in Bereichen des deutschen Wissenschaftssystems schaffen. Dazu sollen vielversprechende Ideen aus der wissenschaftlichen Community aufgegriffen und gefördert werden. Stichtag: 15. Okt. 2024

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Sondern?

Wir adressieren mit dieser Ausschreibung Menschen, die schon lange auf einer Idee rum kauen und die sich genau überlegt haben: Wie könnte das funktionieren? Welche Unterstützung brauche ich? Welche Partner:innen? Und falls mein Projekt erfolgreich ist: Wie geht´s damit weiter, wenn die Förderung der Stiftung nach spätestens drei Jahren endet? In der Projektskizze möchten wir die grundsätzliche Idee verstehen, in den Vollanträgen erwarten wir dann Antworten auf alle diese Fragen. Wer uns und unsere Gutachtenden mit einer tollen und durchdachten Idee begeistert, dem oder der bieten wir uns als Sparringspartner und Förderin an. Skalierbarkeit ist sicherlich auch ein Kriterium. Funktioniert eine Idee nur an der eigenen Hochschule oder ist sie vorbildhaft und anschlussfähig für das Wissenschaftssystem?

Wer reicht Skizzen ein? Einzelpersonen? Verbünde? 

Beide, also Einzelpersonen oder kleinere Verbünde. Oft umfasst das Projektteam mehrere Institutionen, denn im Erfolgsfall soll sich die Idee ja wie ein Lauffeuer verbreiten. Fokussiert man sich nur auf die eigene Organisation, könnte es mit der Skalierbarkeit hapern. 

Können Sie nach fünf bisherigen Ausschreibungsrunden Trendthemen benennen?

Die Frage ist heikel. Denn wie ich schon sagte, sind wir immer auf der Suche nach dem radikal Neuen, nach echten "Pioniervorhaben", nicht "more of the same". Trotzdem bündeln sich in den Skizzen gewisse Themenkreise, die auf die aktuelle Transformation des Wissenschaftssystems reagieren. Digitalität und Digitalisierung, zum Beispiel. Also ob sich Universitäten mit Hilfe von Internetplattformen oder Virtual Reality enger vernetzen können und ortsunabhängig besser zusammen forschen und lehren.

Unsere Aufgabe als Förderin ist es, solche Einzelprojekte nicht nur auf die Reise zu schicken, sondern immer auch den Blick von oben drauf zu haben. Wo können wir Synergien schaffen? Wie können wir die Leute zusammenbringen, damit sie erfahren, da gibt es noch andere Pionier:innen, die sich mit ähnlichen Fragestellungen auseinandersetzen. Und wie kann auch die VolkswagenStiftung dazu beitragen, dass erfolgreiche Projekte so viel Strahlkraft entwickeln, dass sie tatsächlich systemverändernd wirken? 

Eine ordentliche Portion Idealismus gehört auf beiden Seiten dazu.

Dr. Oliver Grewe

Das klingt alles sehr anspruchsvoll. Wie beschreiben Sie Ihre Zielgruppe?

Kurz und bündig: Aktive Wissenschaftler:innen oder Wissenschaftsmanager:innen an wissenschaftlichen Einrichtungen – mit einer richtig guten Idee. Für Förderung kommen im Prinzip alle Facetten des Wissenschaftssystems in Frage, also Governance, Administration, Lehre, Transfer, Forschung – wobei Forschungsvorhaben ausdrücklich nicht gefördert werden! Es geht uns um pragmatische und fokussierte Verbesserungen. Der Praxisbezug ist ganz wichtig.

Welche Qualifikationen sind wichtig?

Bei aktiven Wissenschaftler:innen ist eine abgeschlossene Promotion Voraussetzung, bei Wissenschaftsmanager:innen nicht. Ich möchte aber eines ganz deutlich sagen: Wir wollen die Jüngeren, die vielleicht noch in befristeten Verhältnissen sind, keineswegs ausschließen. Aber sie oder er sollten sich sehr, sehr gut überlegen, ob man sich so ein Projekt ans Bein binden will.  Mit hohem Risiko, aber ohne Bonus für die eigene Karriere. Unsere primäre Zielgruppe sind die, die neben ihrer Forschung oder sonstigen Tätigkeit einen spezifischen Teil des Wissenschaftssystems mit ihrer Idee verbessern wollen – um etwas für das Wissenschaftssystem zu leisten. Die eigene Karriere wird durch ein Pioniervorhaben nicht gefördert.

Wenn ein Förderprojekt in dieser Ausschreibung also kein Karrierebaustein ist, aber Zeit und Geld und Nerven kostet – warum sollte man sich trotzdem bewerben?

Pioniervorhaben sind fast schon eine Form von ehrenamtlicher Arbeit. Da werden Projekte realisiert, die der Community mehr nutzen als einem selbst. Aber wie ich schon sagte: Die Resonanz auf die Ausschreibungen ist trotzdem groß! Es gibt da draußen viele, viele Menschen, die aufmerksam beobachten, was strukturell um sie herum geschieht, und die sagen: Das kann man besser machen! Denen gibt die Stiftung Raum und Ressourcen, um mit ihren Ideen zu experimentieren. Eine ordentliche Portion Idealismus gehört auf beiden Seiten dazu.

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Wissen über Wissen - Reflexion und Praxis in den Wissenschaften

Das Förderangebot "Pioniervorhaben: Impulse für das Wissenschaftssystem" ist Teil unseres Profilbereichs Wissen über Wissen - Reflexion und Praxis in den Wissenschaften. Hier finden Sie weitere Informationen und aktuelle Förderangebote.

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