"In Sachen Partizipation hat die Wissenschaft Nachholbedarf"
#Wissenschaftskommunikation #WissKomm ZentrenIn Tübingen fördert die Stiftung eines von vier Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung. Ein Interview mit Patrick Klügel, der als Public Engagement Manager in dem Projekt mitarbeitet.
Patrick Klügel ist Public Engagement Manager an der Universität Tübingen. Sein Job: Die Interaktion zwischen Wissenschaft und gesellschaftlichen Gruppen zu fördern, also "Partizipation" zu ermöglichen. In dieser Rolle wirkt Klügel auch im "Center for Rhetorical Science Communication Research on Artificial Intelligence" (RHET-AI) mit, eines von vier Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung, die die Stiftung seit 2021 fördert. Im Interview berichtet Klügel über die Chancen für die Wissenschaft, wenn sie sich nicht-wissenschaftlichen Zielgruppen öffnet – und wie dieser Transfer gelingt.
Hat das Wissenschaftssystem mit Blick auf Partizipation einen Nachholbedarf? Falls ja, woran liegt´s?
Ja, den Nachholbedarf gibt es. In der Tat haben andere gesellschaftliche Bereiche teilweise schon lange funktionierende partizipative Elemente entwickelt, denken wir an Gewerkschaften, betriebliche Mitbestimmung und natürlich politische Partizipation. Dass das in der Wissenschaft anders ist, hat verschiedene Gründe. Einer ist sicherlich, dass die Wissenschaftsfreiheit ein wichtiges Gut ist, wie auch zuletzt die Allianz der Wissenschaftsorganisationen in ihrer Stellungnahme zur Partizipation ganz besonders betont hat.
Wenn wir in die Praxis schauen, ist die Frage aber gar nicht so leicht zu beantworten – es gibt meines Wissens keine systematische Erfassung von Forschungsprojekten, die partizipativ ausgelegt sind oder mit Methoden der Beteiligung arbeiten. Punktuell gibt es da hervorragende Projekte und langjährige Erfahrungen. Dennoch: Sicherlich kann man feststellen, dass das Wissenschaftssystem bisher noch keine in der Breite und über die Disziplinen hinweg wirksame Förderung und Unterstützungsstruktur für partizipative Forschung etablieren konnte. Im Moment entwickelt sich aber ein Netzwerk von Akteuren und Forschenden, die zu Professionalisierung, Sichtbarkeit und Austausch des Feldes beitragen. Mit dieser Zielsetzung wurde kürzlich auch eine Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung gegründet.
Welchen Nutzen sehen Sie in der Beteiligung von Bürger:innen für die Wissenschaft?
Beteiligung kann in verschiedenen Intensitäten und auf verschiedenen Stufen geschehen und ganz unterschiedliche Effekte haben. Schon das Nachdenken über die Beteiligung nicht-wissenschaftlicher Interaktionsgruppen führt innerhalb der Wissenschaft zu interessanten Fragen: Welche Art des Wissens, welche Kompetenzen, welche Perspektiven könnten das Projekt bereichern? In welchem Stadium ist eine Beteiligung sinnvoll und möglich und wie weit sollte sie gehen? Was könnte die Zielgruppen überhaupt motivieren, sich mit Zeit und Ressourcen einzubringen? Natürlich gibt es insbesondere bei projektbezogener Beteiligung auch die Gefahr einer Instrumentalisierung oder uneingelöste Partizipationsversprechen, die zu Frustrationen und Vertrauensstörungen führen können. Ein zukünftiges Unterstützungssystem wird also auch eine Ethik der Partizipation brauchen.
Insgesamt kann sich das Wissenschaftssystem meines Erachtens durch eine Stärkung partizipativer Elemente dauerhaft Relevanz in einer Welt der schnellen, auch gesellschaftlichen Transformation, erhalten. Dazu gehört die Verkürzung des Wegs aus Grundlagenforschung in die Anwendung, wo sinnvoll; die Etablierung dauerhafter Arbeitsbeziehungen in soziale Milieus und auch ein breiteres Spektrum an Profilierungsmöglichkeiten und Entwicklungspotential für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Als Public Engagement Manager haben Sie den Partizipationsgedanken ins Cyber Valley getragen, ein Forschungskonsortium in Tübingen und Stuttgart. Welche konkreten Erfahrungen haben sie bei der Zusammenarbeit von Bürger:innen und Fachwissenschaft gemacht?
Wir haben mit Cyber Valley einen Weg beschritten, der viel Geduld erfordert. Die Idee war, in einem mehrjährigen Prozess erstmal Kontakte und Netzwerke aufzubauen, Forschende wie gesellschaftliche Gruppen in diesen Netzwerken in den Dialog zu bringen und weiterzubilden, um Kompetenzen in der transdisziplinären Arbeit zu entwickeln. Erst in einem dritten Schritt sollten dann konkrete Projekte zur Zusammenarbeit initiiert und gefördert werden. Teilweise entwickelten sich die Dinge sogar schneller als geplant.
Ein Beispiel: Nach Gesprächen mit dem lokalen Jugendgemeinderat, mehreren Workshops mit Jugendlichen und in Zusammenarbeit mit einigen Schüler:innen konnten wir mit dem KI-Makerspace einen außerschulischen Lernort zum Thema "Künstliche Intelligenz" aufbauen. Dieses Projekt hat sich inzwischen auch zu einer Plattform für transdisziplinäre Forschung entwickelt. Erziehungswissenschaftler:innen nutzen sie, um gemeinsam mit Lehrer:innen und mit dem Makerspace-Team zu digitaler Bildung zu forschen. Da entstehen jetzt konkrete adaptive Unterrichtseinheiten unter Nutzung von KI-Technologien.
Welche Formatideen haben sich als besonders tauglich erwiesen?
Beteiligung braucht Zeit, echte Ansprechpartner, die sich kümmern, die sich auf Fragen, Bedarfe und Ideen der nicht-wissenschaftlichen Partner:innen einstellen und dann die richtigen Ressourcen und passenden Forschenden aktivieren. Insofern war im Cyber Valley-Kontext vermutlich die Schaffung von zwei Vollzeitstellen für Public Engagement das zielführendste Format…Bevor wir über Formate sprechen, sollten wir Unterstützungsstrukturen schaffen.
Welche Erwartung verknüpfen Sie mit der Mitwirkung beim "Center for Rhetorical Science Communication Research on Artificial Intelligence"?
Mit dem RHET AI bietet sich die Chance, all die Erfahrungen aus der Public Engagement- Praxis vor dem Hintergrund der Kommunikationswissenschaft auf den Prüfstand zu stellen, mit den Forschenden zu diskutieren und zugleich mit den Rhetorik-Forschenden neue Formate zu entwickeln und zu erproben. Wir können bestimmte Hypothesen aus der Forschung durchspielen oder in öffentlichen Veranstaltungen Daten sammeln und dann die Ergebnisse wissenschaftlich vertiefen. So ist unsere interaktive Lesereihe "Ein anderer Blick auf KI" mit Science-Fiction-Autor:innen entstanden, bei der die Teilnehmer:innen, den Diskussionsverlauf mit ihren Abstimmungen aktiv beeinflussen. Die Erkenntnisse fließen in eine Promotion ein.