Weltwissen: Förderung für Kleine Fächer
Am 16. Sept. 2019 ist Stichtag für "Weltwissen". Ein Gespräch mit Vera Szöllösi-Brenig und Selahattin Danisman, die die Initiative in der Förderabteilung betreuen
In der Initiative "Weltwissen" fördert die Stiftung Kleine Fächer. Was ist eigentlich ein Kleines Fach, oder auch: Was ist überhaupt ein Fach?
Szöllösi-Brenig: Das ist heute gar nicht mehr so einfach zu sagen. Spätestens die Bologna-Reform hat den traditionellen Zusammenhang von wissenschaftlicher Disziplin, Denomination der Professur, institutioneller Organisation und Studiengang endgültig erschüttert. Gleichzeitig differenzieren sich die Fächer immer weiter aus, so dass aus Teildisziplinen neue Fächer werden; und schließlich gibt es aus der Gesellschaft auch immer neue Wissensbedarfe, die an die Universitäten herangetragen werden. Das Wissenschaftssystem verändert sich also ständig und doch bedarf es einer epistemischen Stabilität, damit man von einem Fach sprechen kann. Und erst dann kann man sich fragen, wie groß oder wie klein dieses Fach ist. Die Mainzer Arbeitsstelle Kleine Fächer, die derzeit 153 Kleine Fächer listet, bietet der Stiftung in dieser Förderinitiative eine Orientierung. Aber es ist Sache der Antragsteams, die Gutachterinnen und Gutachter sowie die Stiftung davon zu überzeugen, dass tatsächlich ein Kleines Fach im Fokus ihres Vorhabens steht.
Danisman: Dabei geht es der Stiftung auch um "prekäres Wissen". Potenzielle Antragstellerinnen und Antragsteller sollen sich während ihrer Antragstellung auch fragen, ob das Wissen, das sie stärken wollen, "prekäres Wissen" darstellt und Gefahr läuft, nicht mehr weitergegeben zu werden in Deutschland. Das heißt, Wissen, das es in keinem anderen verwandten oder übergeordneten Fach gibt. Einige Universitäten richten ihr Angebot vor allem danach aus, dass möglichst viele Studierende angezogen werden, und da haben Kleine Fächer häufig das Nachsehen. Sie akquirieren zwar oft erfolgreich Drittmittel, sind intern aber oft in der Defensive. Das heißt: Wenn Fächer aus dem Angebot gestrichen werden, trifft es häufiger die "Exoten" am Rande des Spektrums.
Warum ist ein Fach erhaltenswert, das nur, sagen wir, 50 Studierende interessiert?
Szöllösi-Brenig: Viele Kleine Fächer genießen in der Öffentlichkeit große Beliebtheit. Und immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten – Stichwort Citizen Science – mit hochmotivierten Autodidakten und Autodidaktinnen in der Gesellschaft nutzbringend zusammen. Es geht um ein buchstäblich weltumspannendes Wissen, das in Deutschland auch in Zukunft vorgehalten werden muss. Wir brauchen das Wissen der Afrikanistik, der Paläontologie, der Assyriologie, der Archäologie, um nur einige zu nennen. Trotz ihres vielseitigen Nutzens fehlt es vielen Kleinen Fächer aber an personellen Ressourcen und nachhaltigen Visionen für die Zukunft. Hier will die Stiftung mit ihrer Förderinitiative "Weltwissen" einen Impuls setzen.
Warum gibt es zwei Förderlinien?
Szöllösi-Brenig: In der Förderlinie 1, für die ich als Programmreferentin zuständig bin, geht es um Strategiekonzepte, um ein Kleines Fach oder mehrere Kleine Fächer an einer Universität oder an mehreren Universitäten zu stärken. Doch was ist überhaupt ein Strategiekonzept? Jeder Antrag versucht hierauf eine eigene Antwort zu geben. Interessant sind zwei Beobachtungen aus der ersten Antragsrunde. Zum einen sind diejenigen Anträge besonders erfolgreich, die versuchen, mit der strukturellen Stärkung ihres Faches an ihrer Universität das gesamte Fach neu inhaltlich aufzustellen. Zum anderen hat sich gezeigt, wie wichtig es für die Entwicklung eines Strategiekonzepts ist, dass das Fach einen epistemologischen Kern hat. Insgesamt kann man konstatieren: Die Vertreter*innen der Kleinen Fächer haben den Impuls der Stiftung mit großer Begeisterung aufgenommen und in teils in zukunftsweisende Konzepte umgesetzt.
Danisman: Förderlinie 2 ist der Wissenschaftskommunikation gewidmet, also innovativen Maßnahmen, bei denen sich Wissenschaft und Öffentlichkeit auf Augenhöhe begegnen. Hier können Einzelprojekte bis zu 100.000 Euro beantragt werden. In der ersten Ausschreibung wurde u.a. eine Podcast-Reihe vorgeschlagen, es gab Ideen für Online-Games und Brettspiele, für Apps und Wissenschaftscomics. Wie in der Förderlinie 1 sind auch hier neue Impulse gefragt, Risikobereitschaft, aber auch eine Professionalität in der Ausführung und der Zielgruppenorientierung.
Kann man nicht auch Wissenschaftskommunikation im Rahmen der Strategiekonzepte durchführen?
Danisman: Doch, kann man. Aber nicht jeder, der Wissenschaftskommunikation betreiben will, möchte oder muss sein Fach strategisch neu aufstellen. Wer sich aber in der Wissenschaftskommunikation engagieren will, dem will die Stiftung unter die Arme greifen. Wir wollen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Austausch auf Augenhöhe mit Menschen außerhalb der akademischen Kreise gehen, wenn möglich einen Dialog führen. Besonders die Kleinen Fächer haben spannende Themen, die auch außerhalb der Universitäten auf viel Interesse stoßen. Daher bieten wir gesondert für die Wissenschaftskommunikation der Kleinen Fächer die Förderlinie 2 an.
Gab es während der ersten Ausschreibungsrunde Entwicklungen, die Sie nicht vorhergesehen haben?
Szöllösi-Brenig: Es hat sich herausgestellt, dass die Stärkung der sogenannten "Area Studies" – also der Fachgebiete, die sich mit Gesellschaft, Kultur, Geschichte und Politik jeweils einer bestimmten Weltregion beschäftigen und die insgesamt von starker Interdisziplinarität geprägt sind – eine besondere Herausforderung darstellt. Das mag darauf zurückzuführen sein, dass sich diese Räume ständig durch Ereignisse aller Art verändern, verschieben, anders aufstellen. Damit fehlt den Area Studies aber tendenziell ein Kern, auf dem sich ein Strategiekonzept aufsetzen lässt. Gleichzeitig gibt es aber in der Gesellschaft dauerhaft einen Bedarf an Expertinnen und Experten in diesen Bereichen. Im Moment sind wir noch zu keiner schlüssigen Antwort gekommen, wie in künftigen Ausschreibungsrunden "Area Studies" am besten unterstützt werden können. Wer aus den "Area Studies" einen Antrag in Förderlinie 1 stellen möchte, sollte mich deshalb vorher auf jeden Fall für eine Beratung anrufen.
Danisman: In Förderlinie 2 konnten wir beobachten, dass insbesondere solche Anträge erfolgreich begutachtet wurden, in denen von Anfang an Praktiker und Praktikerinnen aus der Wissenschafts-PR, aus Agenturen oder dem Journalismus am Konzept mitgearbeitet haben. Innovative Wissenschaftskommunikation bietet sich gerade bei den Kleinen Fächern an. Aber man muss das Rad nicht neu erfinden – es gibt innovative Formate und Expertinnen und Experten, die sich darin auskennen. Es lohnt sich, mit diesen zusammenzuarbeiten.
Welche Rolle spielen die Universitäten bei der Antragstellung?
Szöllösi-Brenig: Eine sehr wichtige. Dem Förderantrag muss ein Schreiben beigefügt werden, in dem die Heimatuniversität ein klares Committment macht, auf welche Weise und mit welchem Budget sie ein von der Stiftung gefördertes Kleines Fach nachhaltig unterstützen will. Strategiekonzepte fördert die Stiftung mit maximal einer Mio. Euro über einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren. Danach darf dann aber nicht einfach Schluss sein. Dann steht die Universität im Wort.
Gibt es noch Tipps für potenzielle Antragstellerinnen und Antragsteller zum nächsten Stichtag am 16. September?
Szöllösi-Brenig: Wir ermutigen ausdrücklich, auch Möglichkeiten internationaler Vernetzung in strategischen Konzepten zu berücksichtigen. Nach der ersten Antragsrunde haben wir festgestellt, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht wussten, dass man auch Kooperationen mit dem Ausland beantragen kann. Für die Stiftung als privater und unabhängiger Förderin ist dies aber problemlos möglich.
Danisman: Auf der Homepage gibt es die Personen-Projekt-Suche. Dort kann man sich von den Bewilligungen aus der ersten Ausschreibungsrunde für den eigenen Antrag bei "Weltwissen" inspirieren lassen. Und falls drängende Fragen offen sind: Rufen Sie uns gerne an!
Vielen Dank für das Gespräch.