"Wir brauchen interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe"
In ihrer Förderinitiative zur Künstlichen Intelligenz fördert die Stiftung die enge Kollaboration von Technik- und Gesellschaftswissenschaften, um eine zukunftsorientierte KI-Forschung im Sinne der Gesellschaft zu ermöglichen. Ein Gespräch mit den Förderreferenten der Initiative.
Die Förderreferenten Franz Dettenwanger und Hanna Wielandt erzählen im Interview von den Ursprüngen der Initiative "Künstliche Intelligenz – Ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft von morgen" und geben Einblick in die Ziele und den Ablauf des Antragsprozesses.
Die VolkswagenStiftung fördert in ihrer Initiative zu Künstlicher Intelligenz interdisziplinäre Konsortien. Was erhofft sich die Stiftung von der Initiative?
Dettenwanger: Zurzeit erleben wir eine rasante technologische Entwicklung unter dem Schlagwort "Künstliche Intelligenz", die mit tief greifenden gesellschaftlichen Auswirkungen verbunden ist. Diese gilt es insbesondere auch auf Seiten der Wissenschaft frühzeitig zu bedenken und zu reflektieren. Hierfür müssen aus unserer Sicht die Sozial- und Geisteswissenschaften gemeinsam mit den Technikwissenschaften frühestmöglich auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Mit der Initiative erhoffen wir uns einerseits eine deutliche Stärkung solch einer interdisziplinären und bislang alles andere als selbstverständlichen Zusammenarbeit. Andererseits erwarten wir aus dem damit verbundenen Perspektivwechsel neue Einsichten und Lösungsansätze hinsichtlich der Chancen und Risiken von KI.
Wie kam es zu dieser Ausrichtung der Förderinitiative?
Dettenwanger: Einer der Ausgangspunkte für unsere Überlegungen war ein im Jahr 2016 von der Stiftung geförderter internationaler Workshop zum Thema "Robotics in the 21st Century: Challenges and Promises", bei dem mehrere der anwesenden Technikwissenschaftlerinnen und Technikwissenschaftler in etwa sagten: "Wir benötigen die Hilfe von anderen Disziplinen, wir brauchen Expertinnen und Experten aus Ethik, Recht und Sozialwissenschaften, die sich frühzeitig fragen, was das in der Gesellschaft auslöst, wenn wir KI-Systeme implementieren." Diese wohlgemerkt aus den technikorientierten Wissenschaften formulierte Anforderung haben wir entsprechend aufgenommen und weiterverfolgt.
Wielandt: Gleichzeitig hatten wir parallel mit der Förderinitiative Computational Social Sciences ein Angebot für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aufgesetzt, die sozial relevante Forschungsfragen mithilfe neuer technologischer Methoden lösen wollten. Unsere Förderinitiative zu KI nimmt beide Stränge auf: Die Forschungsprojekte sollen sich eben nicht nur um eine rein sozialwissenschaftliche Fragestellung drehen oder Technik lastig sein, sondern beide Seiten zusammenführen. Hier ist die Interdisziplinarität wirklich ernst gemeint. Wir fördern in der Initiative nur die aussichtsreiche Zusammenarbeit der Disziplinen auf Augenhöhe, von der hoffentlich alle Beteiligten profitieren.
Wie haben Sie die Förderinitiative entwickelt?
Dettenwanger: Bevor das Kuratorium die Initiative eingerichtet hat, wollten wir sondieren, ob die Nachfrage in der wissenschaftlichen Community vorhanden ist und wie realistisch sich eine Umsetzung dieser zwar einfach zu formulierenden, aber alles andere als selbstverständlich und leicht zu realisierenden interdisziplinären Zusammenarbeit gestalten könnte. Wir führten daher in 2017 mit ca. 50 ausgewählten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den eben genannten Disziplinen einen einwöchigen Workshop mit dem Titel "Artificial Intelligence and its Impact on Tomorrows World" in Einbeck durch. In dessen Zentrum stand neben aktuellen Themen die Frage, welche Herausforderungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit auftreten, welche Chancen sie bietet und wie die Zusammenarbeit so vorbereitet werden kann, dass die Disziplinen durch den Perspektivwechsel wirklich profitieren und gleichberechtigt miteinander arbeiten – und nicht in einer Konstellation, in der eine Disziplin nur die "Hilfsdisziplin" ist.
Der Workshop illustrierte einerseits die Schwierigkeit der teilweise sehr unterschiedlichen wissenschaftliche Kulturen und Sprachen, andererseits aber auch das Potenzial für neue und viel versprechende Einsichten und Erkenntnisse durch die Projektkonstellationen. Insgesamt waren wir am Ende davon überzeugt, dass ein entsprechend thematisch und disziplinär ausgerichtetes Förderprogramm für die deutsche Wissenschaftslandschaft lohnenswert sein dürfte, sodass unser Kuratorium im November 2017 die Einrichtung beschlossen hat und wir damit einer der ersten deutschen Förderer mit einem entsprechenden Förderangebot waren.
In der Initiative fördert die Stiftung erstmals "Planning Grants". Wie kam es dazu, wofür sind sie gedacht?
Wielandt: Ein Ergebnis des Workshops war, dass es sinnvoll ist, den Forscherteams eine Art "Findungsphase" zu ermöglichen. Daher haben wir die Planning Grants ins Leben gerufen. Ein Planning Grant ist dazu gedacht, Kooperationspartnerinnen und -partner aus den anderen Disziplinen zu finden, das Team zusammenzustellen und gemeinsam die Fragestellung zu konkretisieren. Wie oben erwähnt, müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler häufig auch erst einmal eine "gemeinsame Sprache" finden. Natürlich muss zu Beginn bereits eine Forschungsidee vorhanden sein, mit der man die Gutachterkommission überzeugen kann.
Ist ein Planning Grant die Voraussetzung, um einen Full Grant bekommen zu können?
Wielandt: Nein, es ist ein optionales Angebot seitens der Stiftung. Bei der Beantragung eines Full Grants gehen alle ins gleiche Rennen, ein Planning Grant bekommen zu haben ist dabei formal kein Vorteil. Es sind getrennte Angebote.
Wie ist die erste Ausschreibungsrunde der Initiative gelaufen?
Dettenwanger: Wir konnten in der ersten Runde sechs Full Grants und 19 Planning Grants fördern. Für letztere hatten sich überraschend viele Teams beworben, insgesamt mehr als 120.
Die Planning Grants werden also gut angenommen?
Wielandt: Dass die Planning Grants generell ein sinnvolles Förderinstrument sind, merken wir an den Rückmeldungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Selbst wenn sie in der zweiten Stufe nicht erfolgreich sein sollten, bringt ihnen bereits das Durchlaufen der Findungsphase sehr viel, berichten sie uns. Wir haben solche Vorbereitungsphasen jetzt auch in anderen Initiativen eingerichtet, bei "Kurswechsel – Forschungsneuland zwischen den Lebenswissenschaften und Natur- oder Technikwissenschaften" beispielsweise.
Welche Projekte haben die Chance auf eine Förderung in der KI-Initiative?
Wielandt: Wir suchen explizit nach risikoreichen Projekten und sind durchaus bereit, Anträge entgegen zu nehmen, bei denen der Outcome einfach noch nicht klar ist. Projekte, die sehr visionär sind und echte Zukunftsszenarien aufbauen. Sehr wichtig ist uns auch, dass internationale Kollaborationen entstehen und sich die deutsche Wissenschaft hier international aufstellt. Im Fokus der Begutachtung steht unter anderem: Wie ist das Team aufgestellt? Ist das Thema wirklich innovativ und relevant? Welchen Mehrwert bringt die interdisziplinären Zusammenarbeit, gibt es Potential für neue methodische Ansätze und welche Kommunikation der Ergebnisse in die Öffentlichkeit plant das Antragsteam?
Wie läuft das Antragsverfahren für die Full Grants und die Planning Grants genau ab?
Wielandt: Alle wichtigen Informationen zur Initiative enthalten die "Informationen zur Antragsstellung" (PDF) (PDF, 134 KB). Bei den Planning Grants prüfen wir hausintern, ob der Antrag den Richtlinien des Programms entspricht. Anschließend beurteilt das Gutachtergremium in sogenannten "Quick Assesments" jeden Antrag. Bei den Full Grants prüfen wir die eingereichten Skizzen intern im Haus und starten dann die Begutachtung. Dann gibt es einen Vorschlag aus dem Gutachtergremium, wer zur Vollantragstellung eingeladen wird. Einen guten Überblick zu den zeitlichen Abläufen und den einzelnen Schritten gibt unsere Infografik zum Antrags- und Auswahlverfahren.
Wer begutachtet die Anträge?
Dettenwanger: Ein interdisziplinär und international besetztes Gutachtergremium, das aus acht bis zehn Personen besteht. Wir suchen die Gutachterinnen und Gutachter so aus, dass alle beteiligten Disziplinen abgedeckt sind und wir zu den spezifischen Themen der Anträge ausreichend Expertise haben. Entsprechend wird das Panel auch immer etwas anders zusammengesetzt. Entscheidend ist, dass die Anträge unter dem Blickwinkel der unterschiedlichen fachlichen Perspektiven gemeinsam diskutiert werden.
Wielandt: Wir sind immer auf der Suche nach geeigneten Gutachterinnen und Gutachtern. Da treten wir natürlich in Konkurrenz mit anderen Institutionen, und das boomende Thema "Künstliche Intelligenz" macht die Suche nicht leichter.
Wie sind die Rückmeldungen zur Initiative?
Dettenwanger: Aus der wissenschaftlichen Community bekommen wir die Rückmeldung, dass die Stiftung mit der Initiative einen Nerv trifft und mit ihrer interdisziplinären Ausrichtung ein Angebot schafft, das benötigt wird. Die Antragszahlen und Anfragen bestätigen dies bislang eindrucksvoll und bestärken uns in der Weiterentwicklung der Initiative.
Welchen Stellenwert hat Wissenschaftskommunikation innerhalb der Förderinitiative?
Wielandt: Die Entwicklungen im Bereich "Künstliche Intelligenz" wirken sich ganz konkret auf die Gesellschaft aus – daher ist uns gute Wissenschaftskommunikation ein besonderes Anliegen. Wir begrüßen es, wenn das Thema in den Projekten von Anfang an mitgedacht wird. Auch in bereits laufenden Projekten können über unser Angebot "Wissenschaftskommunikation und Wissenstransfer" Fördergelder hierfür beantragt werden.
Was ist der nächste wichtige Schritt für die Initiative?
Wielandt: Wir haben für November 2019 alle geförderten Projekte zu einer Kick-off-Konferenz ins Tagungszentrum Schloss Herrenhausen eingeladen. Es gibt thematische Überschneidungen zwischen verschiedenen Forschungsprojekten und wir bieten mit dem Treffen Raum für Diskussionen, Austausch und Vernetzung. Für uns ist es nicht zuletzt mit Blick auf die Weiterentwicklung unseres Förderportfolios sehr spannend, einen Blick hinter die Kulissen der Forschungsprojekte zu werfen und gemeinsam ins Gespräch zu kommen. Der direkte Austausch mit den geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gehört mit zu den schönsten Aspekten unserer Arbeit.