8,2 Millionen Euro für junge Freigeist-Forscher +++ Verleihung der ersten elf Fellowships in Hannover
Mit außergewöhnlichen Forschungsansätzen konnten in der ersten Ausschreibung der neuen "Freigeist-Fellowships" elf Wissenschaftler(innen) die Gutachter überzeugen. Zur Finanzierung ihrer Vorhaben stellt die VolkswagenStiftung rund 8,2 Millionen Euro zur Verfügung. Unter den Fellows sind auch Wissenschaftler aus dem Ausland, die für die Arbeit an deutschen Hochschulen gewonnen werden konnten. +++ Pressetermin: Am 29. April werden im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover die neuen Fellowships verliehen. Medienvertreter(innen) sind zum Treffen mit den ersten Freigeist-Fellows herzlich eingeladen; Anmeldung: presse@volkswagenstiftung.de.
Um dem wissenschaftlichen Nachwuchs neue Wege zu öffnen, hat die VolkswagenStiftung 2013 das Förderprogramm Freigeist-Fellowships ins Leben gerufen. Es richtet sich an exzellente Postdocs, die risikobehaftete, unkonventionelle Forschung an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen betreiben möchten. Nun hat das Kuratorium der Stiftung erstmals elf Projekte aus den verschiedensten Disziplinen bewilligt.
Im Folgenden werden vier Forschungsvorhaben näher vorgestellt:
Der Geruch der Verwandtschaft – wie entsteht er, wie wirkt er?
Jede Mutter kann ihr Kind am Geruch erkennen und jedes Kind seine Mutter. Diese Fähigkeit wird innerhalb der ersten Tage nach der Geburt erlernt. Aber spielt der Verwandtengeruch auch außerhalb der Mutter-Kind-Beziehung eine Rolle, etwa bei der Suche nach einem geeigneten Partner? Und wie entsteht der Körpergeruch, der uns Informationen über Verwandtschaft verrät? Diesen Fragen widmet sich die Biologin (und vierfache Mutter) Dr. Barbara Caspers in ihrem Vorhaben "Functions and Mechanism of Olfactory Kin Recognition in an Avian Model System", angesiedelt an der Universität Bielefeld. Da der Körpergeruch sowohl von den Genen, als auch von der Umwelt und der Nahrung bestimmt wird, ist es wichtig, die genetischen Einflüsse und die pränatalen Umwelteinflüsse von einander trennen zu können. Dies wird durch die Arbeit mit Vögeln möglich, z.B. indem Eier schon vor dem Schlupf in fremde Nester getauscht werden. Neben Verhaltensexperimenten wird Caspers chemische, bakteriologische und genetische Analysen durchführen, um die Entstehung des Verwandtengeruchs und seine Funktion bei der Partnerwahl und Reproduktion besser zu verstehen.
Algorithmische News: Können Computer Journalisten ersetzen?
Der britische Kommunikations- und Bildwissenschaftler Dr. Neil Thurman möchte im Rahmen des Projekts "Algorithmic News: An Investigation into the Computerisation of Journalistic Work, and Analysis of its Professional, Personal & Societal Consequences" die Erstellung und die Auswirkungen von algorithmisch generierten Nachrichten auf Endverbraucher, Journalismus und Gesellschaft umfassend analysieren. Schon jetzt sind Computerprogramme in der Lage, eigenständig Nachrichteninhalte zu erstellen und zu filtern. Dadurch können auch "Laien" redaktionelle Tätigkeiten ausüben, die zuvor ausschließlich Journalisten vorbehalten waren. Bedeutet dies, dass Nachrichten beispielsweise demokratischer ausgewählt werden und eine höhere Relevanz für den Verbraucher haben? Führt im Gegenzug eine Themenauswahl, die sich ausschließlich an bereits vorhandenen Nutzerinteressen orientiert, nicht dazu, dass unbekannte, neue oder komplexere Inhalte nicht mehr vorkommen? Wie sieht eine bestmögliche Nutzung der "algorithmischen News" aus? Neil Thurman erhält nun die Möglichkeit, solche Fragestellungen am Institut für Kommunikationswissenschaft der LMU München zu bearbeiten – nach Stationen an der University of Kent, der University of California, Berkeley, und an der City University London.
Die Schlauheit der Krähen für die Neurowissenschaften nutzen
Der Neurowissenschaftler Dr. Jonas Rose wechselt mit seinem Fellowship vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge an die Universität Tübingen. Er beschäftigt sich in seinem Projekt "A Bird's Eye View on the Evolution of Cognition: Crows as a New Model for Cognitive Neuroscience" mit den neuronalen Grundlagen von kognitivem, intelligentem Verhalten – vor allem am Beispiel von Krähen. Forscher gingen bislang vielfach von der Annahme aus, dass die Intelligenz eines Tieres in Relation zu seinem Verwandtschaftsgrad zum Menschen steht. Dieser These folgend dürfte ein Vogel, dessen Entwicklungslinien sich bereits vor 320 Millionen Jahren von denen der Säugetiere getrennt haben, nicht so intelligent sein wie beispielsweise ein dem Menschen näherer Verwandter, etwa das Schaf. Doch der Umstand, dass Krähen ein enormes kognitives Repertoire und intelligenteres Verhalten als viele Säugetiere aufweisen, lässt darauf schließen, dass sich die kognitiven Fähigkeiten von Vögeln unabhängig von denen der Säugetiere entwickelt haben. Nicht ein gemeinsamer Vorfahr hat die Fähigkeiten weitervererbt, sondern ähnliche Notwendigkeiten durch die Umwelt haben zu ähnlichen Fähigkeiten geführt. Neurowissenschaftler Rose will die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Aufbaus der Gehirne bei Krähen und Säugetieren untersuchen und der Frage nachgehen, welche Strukturen notwendige Bedingung für Kognition sind.
Exilregierungen in London und die Folgen für Europa
Während des zweiten Weltkrieges wurde London zur Hauptstadt des alliierten freien Europas: Frankreich, Polen, Belgien, die Niederlande, die Tschechoslowakei und andere waren durch Exilregierungen vertreten. Das Ziel dieser Regierungen war es, nationale Interessen aufrechtzuerhalten und zugleich gemeinsam die Gestaltung Europas nach dem Krieg zu planen. Durch diese informellen Netzwerke bildeten sich neue Formen der politischen und rechtlichen Kooperation heraus, die Diplomatie und Völkerrecht nachhaltig beeinflussten. In einer Verbindung von Mikro- und Globalgeschichte untersucht die Historikerin Dr. Julia Eichenberg in ihrem Projekt "The London Moment. Transnational Collaboration of Governments-in-exile during the Second World War and its Impact on European History", welche langfristigen Folgen und Einflüsse die Zusammenarbeit der Londoner Exilregierungen bis in den Kalten Krieg und danach besaßen. In dem interdisziplinären Projekt, das am Institut für Geschichtswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt ist, wird sie Konzepte und Theorien aus der Politik- und Rechtswissenschaft in ihre Forschung einfließen lassen. Eichenberg verfügt über internationale Erfahrung: Nach einer Promotion zu polnischer Geschichte in Tübingen und einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt am Trinity College und University College in Dublin kam sie nach Berlin, wo sie ein Forschungsjahr am deutsch-französischen Centre Marc Bloch Berlin wahrnahm.
Die weiteren Freigeist-Projekte in Kurztexten:
Dr. Annika Bande, Universität Heidelberg, Physikalisch-Chemisches Institut: Projekt "Electrondynamics of Ultrafast Energy Transfer Processes in Clusters of Real and Artificial Atoms Induced by Long-Range Electron Correlation"
Im Rahmen ihres Freigeist-Fellowships wird Dr. Bande ultraschnelle, langreichweitige Energietransfer-Prozesse mit einer gänzlich neuen Herangehensweise in echten Atomen sowie in synthetischen Nanokristallen (sog. Quantenpunkten) erforschen. Nanokristalle finden sich beispielsweise in Detektoren von Wärmebildkameras, die als Frühwarnsysteme in Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Der Ansatz der Chemikerin sieht vor, dass zwei Quantenpunkte über ihre Elektronen miteinander "kommunizieren", sie miteinander in Verbindung stehen. Dadurch lässt sich die Sensitivität solcher Detektoren deutlich erhöhen. Ihre Erkenntnisse will die Wissenschaftlerin auch auf Anordnungen von natürlich vorkommenden Atomen übertragen.
Dr. Elmar Behrmann, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Physik und Biophysik: Projekt "Novel Nanotemplates for Combined Structural and Functional Analysis of Membrane Proteins"
Proteine in menschlichen Zellen sind wichtige Bestandteile, damit ein Medikament im Körper wirksam ist. Wie sie sich bei einer Reaktion mit einem Wirkstoff verhalten, ist jedoch noch nicht geklärt. Behrmann will daher ein Experiment entwickeln, mit dem er die Änderungen der äußeren Form eines Proteins im Verlauf der Reaktionszeit genau bestimmen kann. Dazu nutzt er ein Modell, das einer natürlichen Zelle stark ähnelt, um durch Kombination des zeitaufgelösten mit einem strukturgebenden Verfahren (Elektronenmikroskopie) beispielsweise die Reaktion von Proteinen auf Medikamente zu analysieren.
Dr. Volker Busskamp, zukünftig TU Dresden, Center for Regenerative Therapies Dresden: Projekt "Functional Synthetic Human Neural Circuits"
Busskamp kehrt nach Forschungsaufenthalten in der Schweiz und an der Harvard Medical School in Boston, USA, zurück nach Deutschland. An der TU Dresden will er eine Technik entwickeln, mit der er Stammzellen zu Nervenzellen ausdifferenzieren kann. Er plant, mit diesen Nervenzellen im Labor funktionale menschliche Nervenschaltkreise herzustellen und so Rückschlüsse auf die Eigenschaften menschlichen Nervengewebes ziehen zu können; dies soll dazu beitragen, neuronale Krankheiten besser erforschen zu können.
Dr. Benjamin Lahusen, Universität Rostock, Juristische Fakultät: Projekt "Administration of Normality. Law and Society 1944-1952"
Vor Gericht werden die abstrakten Regeln des Rechts zu konkreten Urteilen zugespitzt. Dabei definiert die Justiz, was in der Gesellschaft als normal gelten kann und welche Abweichungen zu sanktionieren sind. So lagern sich im Recht Normalitätsvorstellungen ab, die Umbrüche überdauern und von der Gesellschaft zu allen Zeiten abgerufen werden. Für die Zeit zwischen 1944 und 1952 untersucht der Jurist Lahusen, wie die Normalität aus der NS-Zeit mit den Mitteln des Rechts in die beiden deutschen Nachkriegsstaaten transportiert wurde.
Dr. Matthias Roick, Universität Göttingen, Theologische Fakultät: Projekt "The Ways of Virtue. The Ethica Section in Wolfenbüttel and the History of Ethics in Early Modern Europe"
Roick interessiert die Frage, wie der Begriff der Tugend das Denken und Erleben in der frühen Neuzeit prägte. Er schreibt der Tugendethik eine wesentliche Rolle in der europäischen Kulturentwicklung der Zeit zu. Dies will er anhand des Ethica-Bestandes in der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek nachweisen. Ziel seiner Forschungen ist eine neuartige Kulturgeschichte der Ethik, die auch eine fruchtbare Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Modellen ethischer Orientierung ermöglichen soll.
Dr. Marijn van Wingerden, Universität Düsseldorf, Institut für experimentelle Psychologie: "The Neural Basis of Social Valuation – the confluence of neuroscience, psychology and economics"
Der niederländische Psychobiologe van Wingerden konnte in vorherigen Arbeiten aufzeigen, dass Ratten in ihrem Verhalten das Wohlergehen anderer Ratten berücksichtigen. Doch warum verhalten sich die Tiere altruistisch? Inwiefern entstehen ihnen hierbei Vorteile? Und welche Prozesse im Nervensystem ermöglichen ein pro-soziales Verhalten? Um diese interdisziplinären Fragen zu klären, wird van Wingerden umfangreiche Experimente an Ratten vornehmen. Dabei möchte er nachweisen, welchen Nutzen Tiere aus sozialem Verhalten ziehen und welche neuronalen Prozesse bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen.
Dr. Hendrik Weimer, Universität Hannover, Fakultät für Mathematik und Physik: Projekt "Quantum States on Demand"
Eine wissenschaftliche Arbeit über Quantensimulation, an der Dr. Hendrik Weimer maßgeblich beteiligt war, hat die Zeitschrift Science im Jahr 2010 als "Breakthrough of the Year" ausgezeichnet. Weimer arbeitete als Postdoktorand an der Harvard University und am Institute for Theoretical Atomic, Molecular and Optical Physics, Cambridge/USA. Auf dem Gebiet der Quantentechnologie gibt es viele Ideen für Experimente und praktische Anwendungen, die Umsetzung dieser Ideen ist heute jedoch noch sehr schwierig. Weimer möchte daher in seinem Theorieprojekt Modelle erstellen, die Antworten auf allgemeine Fragestellungen über Quantentechnologien geben können. In einem zweiten Schritt wird er in Kooperationsprojekten Experimente entwickeln, um theoretische Vorstellungen etwa über Quantencomputer in praktische Versuche zu übersetzen. Anwendungsgebiete von Quantentechnologien sind unter anderem sichere Kommunikations- oder hochpräzise Messtechniken.
Hintergrund der Förderinitiative
Freigeist-Fellowships richten sich an außergewöhnliche Forscherpersönlichkeiten, die sich zwischen etablierten Forschungsfeldern bewegen und risikoreiche Wissenschaft betreiben möchten. Mit einem modulartig aufgebauten flexiblen Förderangebot erhalten Nachwuchswissenschaftler(innen) mit bis zu fünfjähriger Forschungserfahrung nach der Promotion die Möglichkeit, ihre wissenschaftliche Tätigkeit mit maximalem Freiraum und klarer zeitlicher Perspektive optimal zu gestalten und eigene, originelle Ideen umzusetzen. Jährlich sollen jeweils 10 bis 15 junge Wissenschaftler(innen) unterstützt werden.
Details zu dem Förderangebot und Informationen zur Antragstellung sind hier nachzulesen.