Ein Traum von einer Karriere
Klimawandel, Dürren, hoher Verbrauch durch Landwirtschaft und Industrie – das trinkbare Grundwasser in der Region des Ostafrikanischen Grabenbruchs in Kenia wird knapp. Eine kenianische Wissenschaftlerin hat das früh zu ihrem Thema gemacht – das sie durch ihre Karriere begleitet.
Wir alle haben Träume. Manche bleiben eine Vision, andere können mit viel Ausdauer und ein wenig Glück Wirklichkeit werden. Lydia Olakas Traum war relativ bescheiden, aber seine Realisierung trotzdem sehr ungewiss. Als kleines Mädchen liebte sie Uniformen. Mal beobachtete sie mit Respekt die Polizisten in ihrer khakifarbenen Kluft, die in den Straßen von Kakamega patrouillierten, der Stadt im Westen Kenias, wo sie mit ihren Eltern und vier Geschwistern lebte. Mal bewunderte sie die Ärzte in ihren weißen Kitteln, die halfen, wenn sie krank war. Olaka nahm sich vor: "Eines Tages werde auch ich eine verantwortungsvolle Position haben, und ich werde eine Uniform tragen."
Lydia Olaka, 40 Jahre alt, fröhliche Augen, ansteckendes Lächeln, ist heute eine erfolgreiche Wissenschaftlerin, neugierig und zielstrebig. Schon als sie zehn Jahre alt war, zog sie in der Bibliothek von Kakamega Bücher über die Anatomie des Menschen oder Rätsel der Erdgeschichte aus den Regalen. "Ich wollte von so vielen Dingen wissen, wie sie funktionieren", sagt Olaka.
Als sie dann später Geologie an der Universität in Nairobi studierte, interessierte sie sich vor allem für das Grundwasser in der Region um den Naivasha-See im Südwesten Kenias. Er ist der höchstgelegene See im kenianischen Abschnitt des Rift Valleys und die einzige Quelle für frisches Süßwasser in der Region – mit Verbindungen zum Grundwasser. Regen fällt hier nur selten, doch wenn er kommt, dann in Massen. "Ich wollte unter anderem herausfinden, wo das Regenwasser in den Boden einsickert, wohin es fließt und wie groß die unterirdischen Grundwasserkapazitäten sind", sagt Olaka. Und jedes Mal, wenn sie vor Ort war, fragten sie die Menschen nach der Qualität des Wassers. Ein wichtiges und spannendes Thema, dachte sie.
Die junge Geologin stieß bald auf eine Frage, zu der es bis dahin keine Antwort gab: Wird das Grundwasser durch natürliche Stoffe im umliegenden Felsgestein belastet und welche Auswirkung hat das? "Die Menschen beziehen ja ihre Nahrung und ihr Wasser aus der Umgebung", sagt Olaka. "Das vulkanische Gestein kann mit schädlichen Stoffen wie Blei oder Fluorid durchsetzt sein. Diese gehen in das Grundwasser, auch in Flüsse und Seen und die Luft über, und sind für den Menschen ungesund." Die unerforschten Zusammenhänge von Medizin und Geologie reizten die Wissenschaftlerin sehr, aber sie sah keinen Weg, dem nachgehen zu können: Ihr fehlten die nötigen Labormittel, überhaupt Mittel, um eigenständig zu forschen.
Eine Chance, ihren Traum von der erfolgreichen Wissenschaftlerin zu verwirklichen, entdeckte sie im Internet. Olaka zögerte nicht und bewarb sich um das dort angebotene Stipendium des DAAD – mit Erfolg. So konnte sie an das Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Potsdam kommen, für ihre Promotion zur Auswirkung von Klimaveränderungen auf ostafrikanische Seen.
"Das war eine aufregende Zeit", sagt Olaka. "Ich wollte schon immer international Erfahrungen machen und mein Netzwerk vergrößern, am liebsten an einem Institut in Europa – die Möglichkeiten, da zu forschen, sind so viel besser als in Kenia." Im November 2010, die Doktorarbeit war fast fertig, stand die Rückkehr nach Nairobi bevor. "Ich wollte gern an meinem Thema dranbleiben", sagt sie, "aber ich wusste nicht, wie ich das in Kenia realisieren könnte."
Wieder half das Internet: Auf der Website der VolkswagenStiftung entdeckte Olaka die Förderinitiative "Wissen für morgen – Kooperative Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika", die jungen afrikanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ihren Heimatländern Perspektiven eröffnen soll.
"Ziel ist es, engagierte Nachwuchsforscher dabei zu unterstützen, eigenständig zu forschen und eine Forscherlaufbahn zu beschreiten", sagt Hartmut Stützel. Der Professor am Institut für Gartenbauliche Produktionssysteme der Leibniz Universität Hannover ist Koordinator der Ausschreibung "Resources, their Dynamics and Sustainability" für die Afrika-Initiative der Stiftung – damit auch Ansprechpartner der darin geförderten Fellows.
Lydia Olaka bewarb sich also 2010 mit ihrer Projektidee zu Grundwasserfragen in Kenia. "Ich machte mir keine Hoffnung", erinnert sie sich. "Ich war gerade erst fertig mit der Doktorarbeit, ich hatte keine Stelle an der Universität in Nairobi und auch sonst keinen Job." Sie stand ganz am Anfang als Forscherin, aber sie hatte gute Leistungen gezeigt und eine vielversprechende Forschungsfrage vorzuweisen – damit war sie eine ideale Kandidatin.
"Die Initiative ermöglicht es jungen Leuten mit Potenzial, viele Voraussetzungen zu erwerben, um eine unabhängige Forscherkarriere in Afrika zu machen", sagt Stützel. Das bedeutet die Möglichkeit, überhaupt Forschung betreiben zu können: Viele afrikanische Universitäten sind schlecht ausgestattet, es gibt zu wenig Personal, Material und Geräte. "Viele afrikanische Systeme sind traditionell sehr hierarchisch, auch für eigenständige wissenschaftliche Arbeit sind die Hürden groß und das Geld ist knapp", sagt der Koordinator. "Viele geben die Forschung auf und machen nur noch Lehre."
Die VolkswagenStiftung kann diese strukturellen Probleme nicht lösen. Sie kann aber dazu beitragen, Talente international konkurrenzfähig zu machen und über deren Kompetenz die wissenschaftlichen Strukturen in Afrika nachhaltig weiterzuentwickeln. Dazu hat die Stiftung ein dreistufiges Modell der Karriereförderung entworfen.
So war auch Lydia Olaka zunächst als Junior Fellow eingebunden in ein Kooperationsvorhaben. Gemeinsam mit Wissenschaftlern am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Potsdam sowie an den Universitäten von Nairobi und Addis Abeba und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich arbeitete sie an einem Projekt über die Auswirkungen von Klimawandel und Kontamination auf die Grundwässer im zentralen Kenia-Rift. Was ihr ermöglichte, die Arbeit zum Grundwasser in der Region rund um den Naivasha-See fortzusetzen.
Das Gebiet ist auch das Zuhause der Massai, die dort Mais anbauen und Rinder züchten. Sie tränken ihre Tiere und bewässern den Boden traditionell aus dem Naivasha-See. Heute haben sie nur noch an zwei Stellen freien Zugang zum See, den restlichen Platz nehmen riesige Gewächshäuser ein, in denen Rosen für den europäischen Markt angebaut werden. Das viele Wasser für den florierenden Blumenanbau wird dem See entnommen. Dazu kommt der Klimawandel mit steigenden Temperaturen: Der Regen bleibt immer öfter aus, eine Dürre folgt auf die andere, die einst fruchtbaren Böden und die Brunnen der Massai trocknen aus.
Mit ihren Forschungen wollte Olaka etwas tun gegen diesen Mangel, sie suchte nach unterirdischen Wasserressourcen. Da der See keinen oberirdischen Abfluss hat, fragte sich die Geologin: Wo strömt das Wasser aus dem See durch den Untergrund? Wie lässt es sich nutzen? Sie hängte Wasserpumpen in Brunnen, Quellen und bis zu 200 Meter tiefe Bohrlöcher. Viele gewonnene Proben analysierte sie direkt im Labor des Instituts für Geologie der Universität Nairobi. Andere fror sie für aufwändigere Untersuchungen ein und schickte die Fläschchen tiefgekühlt ins Geoforschungszentrum Potsdam. Die Rückschlüsse aus den geochemischen Daten zu ziehen war dann wieder ihre Sache. "Vor allem kommt es auf die Zusammensetzung der stabilen Isotope an", sagt Olaka. "Mit dem Isotopenverhältnis des Wassers können Grundwasser-Neubildungsgebiete ausfindig gemacht werden." Sie schaute sich diese Werte genau an und kombinierte sie mit den Daten umliegender Wetterstationen. Auf diese Weise konnte Olaka die von Witterungsbedingungen abhängigen Grundwasserschwankungen nachvollziehen und langfristig die Verfügbarkeit für diverse Klimaszenarien vorhersagen.
Auch bei der Bewerbung um Stufe zwei der Stiftungsförderung war Lydia Olaka erfolgreich und konnte als Senior Fellow ihre Forschungsfragen weiterentwickeln. Sie konzentrierte sich nun auf die Verschmutzung des Grundwassers mit Düngemitteln, Pestiziden und Schwermetallen, ein wichtiges Thema bei dem zunehmenden Einsatz von Chemikalien durch die kommerzielle Landwirtschaft um den Naivasha-See. Olaka ging es dabei vor allem darum, zu ermitteln, wie stark das Grundwasser mit Schadstoffen belastet ist und welche gesundheitlichen Risiken bestehen. Mit eigenem Etat konnte sie nun das Projektdesign nach ihren eigenen Vorstellungen entwerfen und umsetzen.
Jede Förderstufe dauerte drei Jahre. So waren es sechs Jahre insgesamt, in denen Olaka unzählige Wasserproben sammelte und auswertete, zweimal pro Jahr zwischen Kenia und Deutschland hin- und herflog, an Workshops zu Projektplanung, wissenschaftlichem Arbeiten und Publizieren teilnahm, Konferenzen in den USA, Indien, Kamerun, Madagaskar und Südafrika besuchte und sich mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt traf. Es waren auch sechs Jahre, in denen sie sich von einer unbekannten Doktorandin zu einer angesehenen Wissenschaftlerin entwickelte.
Schon wenige Monate nachdem sie die Zusage für die Förderung als Junior Fellow bekommen hatte, erhielt sie 2011 auch ihre erste Stelle als Tutorin an der Universität Nairobi. Zwei Jahre später stieg sie zur Dozentin auf. "Die Förderung hat mein Leben wirklich verändert", sagt Olaka. Sie konnte ihre Forschungsidee konzentriert vorantreiben, uneingeschränkt im Feld forschen und die Ergebnisse veröffentlichen. "Ohne Unterstützung hätte ich das nicht geschafft", sagt sie. "Allein eine Wasserprobe im Labor zu analysieren kostet 400 Euro." Heute beschäftigt sie selbst Nachwuchswissenschaftler und bildet Masterstudierende aus.
"Lydia Olaka ist das perfekte Beispiel für eine kontinuierliche Entwicklung, wie es das Ziel des Förderangebots der Stiftung ist", sagt Stützel. "Sie hat es geschafft, an einem Ort ein Thema mit zunehmender Tiefe und zunehmender methodischer Breite zu entwickeln – und sie hat dabei auch eine eigene Arbeitsgruppe wachsen lassen können." Stützel hofft insgesamt auf einen langfristigen Effekt in Afrika. Er setzt darauf, dass erfolgreiche Wissenschaftlerinnen wie Lydia Olaka positive Unruhe in ihre Heimat bringen, dass es durch sie zu einem Umdenken kommt. "Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie wichtig Forschung ist", sagt Stützel. "Universitäten müssen die Zeit und die Ausstattung zur Verfügung stellen, damit junge Leute in der Forschung bleiben."
Inzwischen hat Lydia Olaka den Schritt in die dritte Förderphase gemacht. Sie wird bald – in der Verlängerung ihres Senior-Fellowships - wieder häufig hinausfahren an den Naivasha-See. Dann will sie den Ursachen für den Rückgang des Grundwassers nachgehen und vor allem Strategien zu seiner nachhaltigen Nutzung entwickeln. Wieder wird sie Wasserproben sammeln und im Labor analysieren – und sie wird dort einen weißen Kittel tragen. Ihre Uniform.