Veranstaltungsbericht

Die Lust am Gründen mit Mut und Struktur kultivieren

Karina Scholz

Zwei Frauen stehen vor einer Pinnwand mit verschiedenen Zetteln

Workshopteilnehmerinnen beim 2. Niedersächsischen Innovationsdialog am 1. April 2025

Eine ambitionierte Vision für Niedersachsen brachte auf Einladung von VolkswagenStiftung und Niedersachsen.next Startup rund 200 Menschen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft in Hannover zusammen: Auf dem 2. Niedersächsischen Innovationsdialog drehte sich alles darum, wie eine neue Gründungskultur voller Aufbruchstimmung und Tatkraft im Land wachsen kann.

Zu Beginn stellte Stiftungsvorstand Georg Schütte klar, wie ernst es der Stiftung mit dem Anschub einer neuen Gründungskultur im Land ist: Durch die Ergebnisse des ersten Innovationsdialoges 2024 habe sich "eine Dynamik entfaltet, die wir erhalten und weiter nach vorne bringen wollen", sagte er. 

Das Grußwort von Seiten der Landesregierung übernahm Wissenschaftsminister Falko Mohrs. Trotz allerhand negativer Nachrichten gelte es, Mut zu schöpfen, sich ressortübergreifend zusammenzuschließen und die Krise nicht ungenutzt zu lassen, appellierte Mohrs. Dazu leiste der Innovationsdialog einen Beitrag. 

Mann mit Mikro in der einen Hand

Die Keynote hielt Prof. Helmut Schönenberger, der als Geschäftsführer der Gesellschaft UnternehmerTUM an der TU München zeigt, wie sich durch universitäre Ausgründungen ein internationales Top-Level an Innovation erreichen lässt. 

Wie es konkret aussehen kann, Chancen bestmöglich zu schaffen und zu nutzen, das führte Prof. Helmut Schönenberger, Geschäftsführer der UnternehmerTUM, anschließend aus. Der Gast aus Bayern erinnerte die Niedersachsen an glanzvolle Momente aus ihrer eigenen Historie, etwa die Gründung des heutigen Konzerns Continental im Jahr 1871. Die Begeisterung der Gründerzeit für neue Einfälle und Fortschritte gelte es neu zu entdecken, so Schönenbergers These. "Ich sehe nicht, warum das heute nicht mehr klappen sollte – ihr habt alles!", rief er dem Publikum zu. 

Was es neben guten Ideen konkret braucht, um eine zukunftsfähige Zahl an Start-ups und damit marktfähigen Innovationen hervorzubringen, wurde schnell klar: Teamarbeit und Geld. Mit einer Statistik über die Finanzierungssummen für Start-ups, aufgeschlüsselt nach Bundesländern, verblüffte Schönenberger weite Teile des Auditoriums: 2.331 Millionen Euro flossen 2024 nach Bayern, während es in Niedersachsen nur 96 Millionen Euro waren.

Münchener Beispiele

Neben Isar Aerospace sind etliche von der UnternehmerTUM unterstützten Start-ups am Markt erfolgreich, zum Beispiel der Softwarespezialist Personio oder der Busreiseanbieter Flixbus. Auch die Softwareunternehmen celonis oder presize.ai setzten sich durch. Weiterhin in Entwicklung ist das weltweit erste Fusionskraftwerk der Münchener Firma proxima fusion. Dass es diese Erfolge gebe, sei kein Zufall, betonte Schönenberger. "In München ist das wirklich Top-Prio. Wir reden nicht nur darüber, sondern wir legen das Geld auf den Tisch", sagte er. Alle zwei Arbeitstage werde im Umfeld der TU München ein Start-up gegründet. 50 Millionen Euro gebe die TU München jährlich aus, um den Start-up-Flow zu ermöglichen. Zusätzlich sammelten die Start-ups doppelt so viel Geld ein. (Quelle: Helmut Schönenberger)

"Die Zahlen sind hart. Das reicht einfach nicht, um das Land zum Blühen zu bringen", kommentierte er. Nötig sei für Niedersachsen die 20-fache Menge an Geld. Verhaltenen Anlass zur Hoffnung gebe die Zahl der "unternehmerischen Kindchen", die das Land nach Zahlen des Start-up-Verbandes 2024 hervorbrachte – demnach sitzen 5,1 Prozent der deutschen Start-ups in Niedersachsen. "Auch da ist natürlich noch Verbesserungspotenzial", lautet Schönenbergers Urteil.

Wagniskapital beeinflusst Erfolg

Dennoch wolle er Mut machen, sagte der Professor und Vizepräsident für Entrepreneurship der TU München. Jetzt gehe es darum, die Zahl der Start-ups signifikant zu steigern, "um auf skalierbare Unternehmen zu kommen", die Werte generierten und Arbeitsplätze ermöglichten. Schönenberger nahm das Publikum mit auf eine gedankliche Reise in die Zukunft: "Wenn ihr beim zehnten Innovationsdialog auf dem Weg vom Bahnhof hierher an zehn Logos eurer Start-ups vorbeikommt, die sich erfolgreich in der Stadt angesiedelt haben, dann habt ihr euren Job gemacht", führte er strahlend aus. Dazu brauche es "Commitment", also die Bereitschaft und Verpflichtung, am Ball zu bleiben. Ein gutes Münchener Beispiel dafür sei das Raumfahrt-Start-up Isar Aerospace, einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden durch seinen ersten Raketen-Testflug Ende März in Norwegen. 

Mann spricht in ein Mikro und gestikuliert dabei

Präsident Prof. Sascha Spoun berichtete, wie die Leuphana Universität Lüneburg die Schlüsseldisziplin Entrepreneurship Education in der Hochschulbildung verankert. 

Mit einer motivierenden Botschaft in Richtung Niedersachsen fasste er zusammen: "Ich sehe keinen Grund, warum es heute nicht wieder Unternehmer hier geben sollte, die Weltkonzerne aufbauen." Eine gemeinsame Strategie sei der Anfang dafür. Jetzt brauche es Freund:innen, Partner:innen und Kolleg:innen, die die neue Gründungskultur vorantreiben. 

Exzellenz zwischen Nordsee und Harz

Einen Überblick über die vielfältigen Ansätze und Modelle der Innovationsförderung gab es anschließend im Schnelldurchlauf: Fünf Rednerinnen und Redner stellten im Kurzformat Projekte aus ihrem Umfeld vor, die Start-ups zwischen Heide und Harz, zwischen Elbe und Weser noch stärker als bislang fördern sollen. 

Mit dabei ist das Gründungs-Audit als Entwicklungsinstrument für Hochschulen, vorgestellt von der Vorsitzenden der Landeshochschulkonferenz, Prof. Susanne Menzel-Riedl. Wie die Leuphana Universität Lüneburg die Schlüsseldisziplin Entrepreneurship Education in der Hochschulbildung verankert, erklärte Präsident und Professor Sascha Spoun. Dass Erfolge nicht nur in großen Metropolen gefeiert würden, betonte der Geschäftsführer des Technologie- und Gründerzentrums Oldenburg, Jürgen Bath. Wissensbasierte Ausgründungen seien ein komplementäres Modell für eine starke Innovationslandschaft. 

Frau mit Mikro in der Hand

Gründerin und Professorin Elisabeth Zeisberg präsentierte das Start-up-Factory-Vorhaben Life Science Incubator GOe FUTURE vor.

AgriFood-Hub neu in Niedersachsen

Die typisch niedersächsischen Kompetenzen in der Fläche des Bundeslandes wollen sie als Leuchttürme für Innovation etablieren und nutzen: Die Geschäftsführer Philipp Rittershaus von Rootcamp Hannover und Florian Stöhr von Seedhouse Osnabrück führen mit AgriFood Osnabrück-Hannover gemeinsam den ersten de:hub-Standort in Niedersachsen an insgesamt vier Standorten. Damit ist das Bundesland Teil der deutschlandweiten Digital Hub Initiative geworden.

In Göttingen bringt die Dekanin für Transfer an der Universitätsmedizin, Gründerin und Professorin Elisabeth Zeisberger ein weiteres richtungsweisendes Beispiel an den Start: Sie stellte das Start-up-Factory-Vorhaben Life Science Incubator GOe FUTURE vor. Ihr Zielbild: "Wir möchten mit der Start-up-Factory in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein Silicon Valley für Liefe Sciences in Niedersachsen schaffen."

Ideen, Pläne und engagierte Menschen gibt es also reichlich in Niedersachsen. Die Fragen nach unterstützenden Strukturen und vor allem nach genügend Kapital, um die viel beschworene "kritische Masse" an Start-ups zu erreichen, aus denen renommierte Top-Unternehmen hervorgehen können, bleiben eine Herausforderung für Politik und Wirtschaft. Praktische Vorschläge, wie sich die Gründungsförderung beschleunigen lässt, sammelten die Teilnehmenden des Innovationsdialoges in fünf zeitgleich stattfindenden Workshops. 

Podium mit acht Personen nebeneinander

Auf dem Podium diskutierten Wirtschaftsminister Olaf Lies, Alexander Skubowius (Vorstand NEWIN e.V.), Prof. Dr. Helmut Schönenberger (Geschäftsführer der UnternehmerTUM GmbH und Vizepräsident für Entrepreneurship, TU München), Prof. Dr. Elisabeth Zeisberg (Dekanin für Transfer an der Universitätsmedizin Göttingen und Gründerin), Claudia Müller (Parlamentarische Staatssekretärin, BMBF), Dr. Laila Al-Halabi-Frenzel (Gründerin), Wissenschaftsminister Falko Mohrs und Moderatorin Meike Neitz (v.l.n.r.). 
 

Wissenschafts- und Wirtschaftsförderung zusammendenken

Um den Brückenbau zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ging es in der abschließenden Gesprächsrunde. Niedersachsens designierter Ministerpräsident Olaf Lies bekräftigte ebenso wie sein Kabinettskollege Mohrs, dass das Land systematische Strukturen brauche, um Innovationen zu fördern und die Anzahl von Start-ups zu vervielfachen. Aus der Praxis berichtete Dr. Laila Al-Halabi-Frenzel, wie die von ihr gegründete GmbH während der Corona-Pandemie Fahrt aufnahm und heute von EU-Förderungen profitiert. Alexander Skubowius, Vorstand des Netzwerkes der Wirtschaftsförderungseinrichtungen in Niedersachsen, hob hervor, wie wichtig die Einübung unternehmerischen Denkens für die Zukunft sei. "Mit Entrepreneurship Education sollten wir idealerweise schon in der Schule beginnen", forderte er. 

Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Claudia Müller, sprach sowohl den Vertreter:innen der Länder- als auch der Bundesebene mit einer treffenden Analyse aus dem Herzen: "Bei der Förderung von Forschung- und Innovationsprojekten sind wir gar nicht so schlecht. Aber beim Übergang zur Wirtschaftsförderung, bei Schritt 3 und 4 und 5, haben wir Probleme, da entsteht die Lücke", sagte sie. Wie diese Lücke klug, schnell und dauerhaft geschlossen werden kann, daran wollen alle Teilnehmenden weiterarbeiten – das wurde in dieser Runde deutlich. 

Für Georg Schütte sind die Erkenntnisse des 2. Innovationsdialoges gleichzeitig der Auftrag, die nötigen Veränderungen weiter voranzutreiben. "Wir brauchen Vertrauen, Mut, einfachere Verfahren, eine bessere Fehlerkultur, mehr Kapital und mehr Professionalität", fasste er zusammen. Deshalb werde die Stiftung 2026 zum 3. Niedersächsischen Innovationsdialog einladen.
 

drei Personen halten je ein Exemplar eines Dokuments in die Kamera

Innovationsdialog: Strategie für mehr Gründungen vorgestellt

Ein Fonds zur Finanzierung von Ausgründungen, der Aufbau von Gründungszentren an Hochschulen sowie Leuchtturmprojekte im Hochtechnologiebereich – das sind Empfehlungen im Impulspapier "Für eine neue Gründungskultur in Niedersachsen". Vorgelegt wurde es von der VolkswagenStiftung und Niedersachsen.next Startup anlässlich des ersten Niedersächsischen Innovationsdialogs.

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