Niedersachsens Netzwerk für mehr Unternehmensgründungen
Beim 1. Niedersächsischen Innovationsdialog diskutierten Politik, Wirtschaft und Forschung in Hannover, wie das Land seine Innovationskraft stärken und zur Gründerhochburg werden kann. Die Botschaft: Es braucht Mut, Vernetzung – und Transfer von Ideen in die Praxis.
Die Hannover Messe ist nicht nur ein Toptermin für die Industrie. Immer mehr entwickelt sie sich zum Treffpunkt für Start-ups, Tech-Talente, Forscherinnen und Forscher. Es war also kein Zufall, dass auch die VolkswagenStiftung in der Messewoche zu ihrem 1. Niedersächsischen Innovationsdialog lud. "An der Hannover Messe lässt sich gut ablesen, ob und wie es in Deutschland gelingt, Innovationen wie Künstliche Intelligenz in die industrielle Produktion zu integrieren", erklärte Generalsekretär Georg Schütte zur Begrüßung. Was er dort gesehen hatte, stimmte ihn jedenfalls nicht so optimistisch, dass er nicht Gestaltungsbedarf sah – gut, dass diese Integration möglich ist.
Dank der Dividende der Volkswagen-Aktie sowie der Sonderdividende durch den Börsengang der VW-Tochter Porsche 2022 stehen der Landesregierung und der VolkswagenStiftung im Rahmen des Förderprogramms zukunft.niedersachsen zur Förderung wissenschaftlicher Einrichtungen mehr als eine Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung. "Damit hat Niedersachsen ganz neue Möglichkeiten", so Schütte, "doch wie setzen wir die zusätzlichen Mittel möglichst wertschöpfend ein?" Mehr als 200 Interessierte wollten der Diskussion dazu folgen. Sie hörten Standpunkte aus Politik, Start-up-Szene, Unternehmertum und Wissenschaft. Und von visionären Menschen, die mehrere Seiten kennen.
Großdenken statt Vorhersagen
Der Ingenieur und Computerwissenschaftler Amir Banifatemi zum Beispiel, der für die European Space Agency und Airbus tätig war, an Hochschulen von Berkeley bis Paris forscht, und seit 25 Jahren als Start-up-Investor tätig ist. Er begann seine Keynote mit dem Appell, groß zu denken – und die Zukunft nicht nur vorherzusagen, sondern zu gestalten: "Nicht extrapolieren, sondern imaginieren", nannte er das. Große Ziele, die sich ein Land – oder auch ein Bundesland – setzen kann, lauten dann etwa so: "Ein gesundes Leben für alle", "Wege zu einer Gesellschaft mit sauberen Energien im Überfluss", "In einer digitalen Welt Vertrauen schaffen". Um dorthin zu kommen, gelte es, einen Plan ("Roadmap") zu entwickeln, und innovative politische Unterstützung zu organisieren.
Visionäre Forschungsprojekte als Vorbild
Ein Beispiel für ein großes Ziel in Deutschland präsentierte der Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung Peter H. Seeberger, zugleich Gründungsdirektor des neuen Forschungszentrums "Center for the Transformation of Chemistry" (CTC) in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Mit 1.000 Mitarbeiter:innen soll dieses einen radikalen Wandel in der Chemieindustrie anstoßen - bis hin zu einem "Auto, das komplett ohne fossile Rohstoffe auskommt." Möglich wurde das Projekt durch den vom Bundesforschungsministerium (BMBF) ausgelobten Wettbewerb "Wissen schafft Perspektiven für die Region", der den Strukturwandel in den einstigen Braunkohleregionen Ostdeutschlands unterstützen soll.
Start-ups als Brücke zwischen Uni und Markt
Vier niedersächsische Start-ups machten auf die Hürden aufmerksam, die innovative Geschäftskonzepte meistern müssen - von der Finanzierung über den Wissenstransfer bis hin zu starrer Bürokratie. "Ohne Förderung können Studis ihre Ideen nicht auf den Markt bringen", erklärte Merit Ulmer von Eco:fibr, einem Start-up, das sich der nachhaltigen Papierproduktion aus Ananasblättern verschrieben hat. Immer wieder wurde der Ruf nach mehr Austausch zwischen Hochschulen, Start-ups und etablierten Unternehmen laut, aber auch nach mehr Flexibilität.
Ideen gehören nicht in Schubladen
"Wir sind da dran – und wollen genau solche Ökosysteme künftig stärker finanzieren", versprach Falko Mohrs (SPD), Minister für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen, beim anschließenden Rundgespräch über die Frage, wie ressortübergreifende und transfertaugliche Forschung- und Innovations-Themen mit Zukunftspotenzial gestaltet werden können. Von Klimawandel bis Digitalisierung ließen sich Herausforderungen nicht ohne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lösen, die gute Ideen in die Praxis brächten. In einem Energie-, Industrie- und Agrarland wie Niedersachsen gelte das erst recht. Sein Kabinettskollege Olaf Lies (SPD), Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung, räumte ein, dass viele gute Ideen an Hochschulen "in einer Schublade landen". Diese müssten in Umsetzung gebracht werden.
Impulse für eine neue Gründungskultur
Die Beauftragte der Bundesregierung für digitale Wirtschaft und Start-ups Anna Christmann (Grüne) machte einen interessanten Finanzierungsvorschlag: Könnten nicht die Pensionskassen stärker in Wagniskapital investieren, und so bei der für innovative Ideen stets dringend benötigten Finanzierung helfen? Auf der Haben-Seite verwies sie auf den im Februar von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Leuchtturmwettbewerb Startup Factories, in dessen Rahmen bis zu zehn Projekte hochschulübergreifende "Ökosysteme" etablieren können. Christmanns Vision: Ein Netzwerk solcher Factories, an denen an zukunftsweisenden Lösungen gearbeitet wird: "Start-ups sind der Riemen, der von der Wissenschaft zu Produkten führt". Weiterhin gelte indes, dass der Transfer von Hochschulen zu Wirtschaft vereinfacht und rechtlich flexibilisiert werden müsse: "Dann bleiben viele Leute auch gern in Deutschland."
Mindset schaffen
"Neue rechtliche Rahmenbedingungen" forderte auch die Präsidentin der TU Braunschweig, Angela Ittel – unterstützt aus dem Publikum vom Professor für Entrepreneurship Reza Asghari, der eine Anekdote preisgab. Als er an der Hochschule Ostfalia mithalf, eine Wagniskapital-Gesellschaft zu gründen, die Start-ups unterstützen sollte, sei zunächst der Antrag acht Monate von der Landesregierung geprüft – und das Verfahren dennoch acht Jahre später vom Rechnungshof moniert worden. Weiter aus dem Publikum angeregt wurde eine Art ministerielle "Blaupause", wie Transferaktivitäten aussehen könnten. Als Vorbild für ein "Ökosystem"von Hochschule und Wirtschaft mehrfach genannt wurde das Zentrum für Gründung und Innovation "UnternehmerTUM" an der Technischen Universität München.
Hochschulpräsidentin Ittel, selbst Psychologin, sprach einen weiteren zentralen Punkt an: Es brauche ein verändertes Mindset bei Studierenden; dieses müsse stärker gefördert werden. "Für Gründergeist brauche es Mut, Zuversicht, Selbstvertrauen – dabei hilft kein einzelnes Seminar in Entrepreneurship. Das ist ein Querschnittsthema, auf das Hochschulen zu wenig ausgerichtet sind."
Auftakt für mehr
Ein Fonds zur Finanzierung von Ausgründungen, der Aufbau von Gründungszentren an Hochschulen sowie Leuchtturmprojekte im Hochtechnologiebereich: All diese Punkte schlagen die Stiftung und die Landesinitiative Niedersachsen.next Startup (ehemals startup.niedersachsen) auch in einem aktuellen Impulspapier vor. Es heißt "Dynamisch, integriert und effektiv: Für eine neue Gründungskultur in Niedersachsen (PDF, 475.4 KB)", und lag pünktlich zum Niedersächsischen Innovationsdialog vor. Wenn dieser sich 2025 das zweite Mal trifft, können die Anwesenden vielleicht schon über erste Initiativen zur Umsetzung sprechen.