Meeresschutz ist Klimaschutz
Die Bedeutung der Weltmeere bei der Eindämmung des Klimawandels wird häufig unterschätzt. Dabei entscheidet der Zustand der Ozeane darüber, wie wir in Zukunft leben werden. Was können wir tun, um die Meere zu schützen? Darüber diskutierten Expert:innen bei der Veranstaltung "Beyond the deep blue sea - Die Meere im Klimawandel".
Die Meere bedecken 71 Prozent der Erdoberfläche, sie nehmen 93 Prozent der von Menschen durch Treibhausgase produzierten Wärmeenergie auf, sie sind die mit Abstand wichtigste Kohlenstoffsenke auf diesem Planeten und der wichtigste Produzent von Sauerstoff. Ohne den riesigen Ozean wäre unsere Erde grau – nicht blau. Die Weltmeere haben diesen Planten zum Leben erweckt, und sie sind unverzichtbar, wenn es darum geht, dieses Leben angesichts der Klimakrise auch in Zukunft zu erhalten. Aber: Haben die Menschen diesen Zusammenhang verstanden? Handeln sie danach? Und wie viel Zeit bleibt uns, dies zu verstehen und das Richtige zu tun?
Dass die Menschheit schon sehr viel Zeit hat verstreichen lassen, verdeutlichte Professor Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Rahmstorf zählt international zu den renommiertesten Klimaforschern, er war Leitautor für den Bericht des Weltklimarats 2007 und acht Jahre lang Berater der Bundesregierung in Klimafragen.
Reißt der Nordatlantikstrom 2057 ab?
Rahmstorf blickte in seinem einleitenden Impulsreferat zunächst zurück. Die Wissenschaft könne, so Rahmstorf, die Klimaveränderungen auf der Erde über einen Zeitraum von mehr als 2.000 Jahren seit Christi Geburt und den menschengemachten Klimawandel genau beschreiben. Wissenschaftlich sei der Prozess der Klimaerwärmung umfassend erfasst und beschrieben. "Wir verstehen die Wärmebilanz unserer Erde." Trotzdem sei es aufgrund der unterschiedlichen Einflussfaktoren schwierig, konkrete Prognosen zu stellen.
Als Beispiel nannte Rahmstorf den Nordatlantikstrom. Diese Umwälzzirkulation wird von Dichteunterschieden der Wassermassen angetrieben. Es ist ein System, das für einen beständigen Austausch warmer und kalter Wassermassen sorgt und für das milde Klima in Nord- und Westeuropa verantwortlich ist. Der Weltklimarat IPCC habe die Wahrscheinlichkeit, dass die Atlantikzirkulation infolge der Klimaerwärmung noch in diesem Jahrhundert abreißt, vor wenigen Jahren mit unter zehn Prozent angegeben, so Rahmstorf. Einer anderen, in diesem Jahr erschienenem Studie zufolge ist es dagegen am wahrscheinlichsten, dass der Nordatlantikstrom 2057 zusammenbricht, mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit aber spätestens bis 2095 – also in diesem Jahrhundert. Ein Abbruch dieses teils des Golfstroms hätte irreversible Auswirkungen auf das Weltklima. In Westeuropa würden Extremwetterlagen wie Hitzewellen und Starkregen zunehmen. Es wäre einer der sogenannten "Kipppunkte", vor denen Forschende eindringlich warnen.
Das globale Klima bewegt sich auf einen Kipppunkt zu
Rahmstorf räumte in seinem Vortrag ein, dass es wissenschaftlich zwar erhebliche Unsicherheiten, aber gleichzeitig keinen Zweifel daran gebe, dass sich das globale Klima auf diese "Kipppunkte" zubewege, die unser Leben radikal verändert würden. Die Meere erwärmten sich wie beschrieben seit Jahrzehnten, aber seit Mai 2023 sehe man keine langsame Aufwärtsbewegung mehr, sondern eine Kurve auf Rekordkurs, eine "abnormal hohe Meerestemperatur". Auch hier wüssten die Forschenden noch nicht, ob dies eine einmalige Anomalie oder ein gigantischer, dauerhafter Schub bei der Erwärmung der Ozeane sei. Angesichts der Schwierigkeiten, eine exakte Vorhersage zu abrupten Klimawechseln zu treffen, müsse die Menschheit zu einer Risikoabschätzung kommen, ähnlich wie bei dem Risiko eines Flugzeugabsturzes. Wenn dieses Risiko bei zehn Prozent läge – so wie bei der Gefahr eines baldigen Versiegens des Nordatlantikstroms – wer würde dann noch fliegen? Dies sei jedoch eine gesellschaftliche, keine wissenschaftliche Ausgabe, so Rahmstorf.
Der Meeresspiegel sei in den zurückliegenden 100 Jahren bereits um gut 20 Zentimeter gestiegen. Selbst wenn man die Erderwärmung, wie im Pariser Abkommen 2015 beschlossen, auf 1,5 Grad begrenzen würde, werde der Anstieg des Meeresspiegels nicht gestoppt, unterstrich Rahmstorf. Denke man 1.000 oder auch 2.000 Jahre in die Zukunft, dann habe der Mensch bereits jetzt mehrere Meter an Anstieg ausgelöst. "Wir können nur die Beschleunigung des Anstiegs verhindern." Schon jetzt müsse damit gerechnet werden, dass bis Ende des Jahrhunderts der Meeresspiegel einem halben bis zu einem Meter steigen werde, theoretisch sei ein Anstieg um 65 Meter möglich.
Wird das Klimaziel verfehlt, sterben alle Korallen
Eine konkrete Folge der Meereserwärmung sei das Korallensterben, zu sehen etwa an der Korallenbleiche am Great Barrier Reef in Australien. Bei einer globalen Erderwärmung von zwei Grad werden wir alle Korallen verlieren, bei einer Erwärmung von 1,5 Grad seien laut IPCC bis zu 30 Prozent rettbar, sagte Rahmstorf. "Einer der vielen Gründe, warum es so wichtig ist, diese 1,5 Grad einzuhalten."
Die Weltmeere litten zunehmend unter Sauerstoffmangel, es würden immer mehr sauerstoffarme Bereiche entstehen, sogenannten Todeszonen. Zum Abschluss seines Vortrags erinnerte Rahmstorf noch einmal an den Weltklimarat IPCC. Dort mahne man dringend zur Eile, das Zeitfenster, in dem eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle gesichert werden könne, schließe sich rapide. Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen wirkten sich jetzt und für Tausende von Jahren aus.
"Meeresschutz ist gleichzeitig auch Klimaschutz"
Neben Stefan Rahmstorf auf dem Podium: Nadja Ziebarth, Meeresbiologin und Leiterin des BUND-Meeresschutzbüros in Bremen. Ziebarth ist seit 23 Jahren im Meeresschutz tätig, für sie ist "Meeresschutz gleichzeitig auch Klimaschutz". Moderatorin Jana Münkel bat Ziebarth um eine Einschätzung, welche Folgen das von Grundlagenforscher Rahmstorf skizzierte Szenario konkret auf die an Deutschland angrenzenden Meere Nord- und Ostsee hat.
Ziebarth legte dar, dass die Ziele der 2008 beschlossenen EU- Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL), wonach die europäischen Meere bis 2020 in einem guten Umweltzustand sein sollten, bis heute nicht erreicht wurden. Nach Einschätzung von Ziebarth ist der Zustand der Ökosysteme in Nordsee und der Ostsee in fast allen Belangen "nicht gut". In beiden Meeren sei ein sehr hoher Temperaturanstieg zu verzeichnen mit Auswirkungen auf das Ökosystem. "Der Dorsch zieht nach Norden", und das sein nur ein Beispiel für die Verschiebungen in der Nahrungskette, so die Expertin. Die Nordseeküste, aber vor allem die Ostsee, beide würden unter Übernutzung leiden, also Überfischung, und überhöhtem Nährstoffeintrag. Fachleute sprechen von Eutrophierung, wenn einem Gewässer über einen langen Zeitraum Stickstoff zugeführt wird. Ausgangspunkt seien Düngemittel auf Äckern, die vom Regen ausgespült ihren Weg in die Ostsee finden, sagte Ziebarth. Das wiederum führe im Meer zu Algenblüten und Todes-Zonen. Endstation Meer, so das Fazit Ziebarths.
Klimapuffer bei Fischfangquoten
Die Meeresbiologin griff Rahmstorfs Beispiel des Korallensterbens auf und stellte die rhetorische Frage, warum das überhaupt ein Problem sei. Ihre Antwort: "Weil Korallen die Basis eines Ökosystems sind." Auch das Abschmelzen des Eises an den Polen sei nicht nur ein Problem für den Meeresspiegel, sondern ein Problem für das komplexe Ökosystem, das sich unter dem Eis befinde. Nur ein Beispiel sei Krill. Ohne Krill würde ein Walsterben einsetzen. Ein Wal binde aber über seinen Lebenszeitraum bis zu 30 Tonnen CO2, wie überhaupt die Überfischung direkt die Kohlenstoffsenke-Funktion der Meere reduziere, argumentierte Ziebarth.
Aus ihrer Sicht brauche es einen Klimapuffer bei Fischfangquoten. Es reiche nicht, darüber nachzudenken, wie eine Population erhalten werden könne. Bei der Festlegung der Quoten müssten die Auswirkungen auf das Klima mitgedacht werden. Für die Ostsee komme diese politische Diskussion indes schon zu spät, weil die Fanggründe so gut wie leer seien. "Wo nichts ist, kann man nichts mehr fangen", sagte Ziebarth.
Rahmstorf stimmte Ziebarth zu, dass die Umsetzung von Klimaschutz politisch ein mühsames Geschäft sei, aber er verwies auf die Erfolge, die seit dem Kyoto-Protokoll und dem Pariser Abkommen zu verzeichnen seien. So habe man vor Paris fürchten müssen, dass sich das globale Klima bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu vier Grad erhöhen würde, was Rahmstorf als "absolut katastrophal" bezeichnete. Aktuell sei man bei 1,2 oder 1,3 Grad, erneuerbare Energien und die Natur könnten dazu beitragen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Aber: "Wir müssen sehr, sehr schnell die Kurve kriegen."
Schutzgebiete, in denen "gar nichts geschützt ist"
Nadja Ziebarth wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Nordsee im Zuge des Windkraft-Ausbaus derzeit industrialisiert werde, indem zum Beispiel Kabeltrassen durch das Wattenmeer gezogen werden. "Da wird ein Ökosystem gerade massiv verändert." Der notwendige Ausbau der der Offshore-Windenergie brauche Augenmaß und Schutzgebiete. In der Nordsee seien 43 Prozent der Fläche ausgewiesene Schutzgebiete. Das Dilemma dieser Schutzgebiete sei, dass dort "zum großen Teil gar nichts geschützt ist". Ein Beispiel sei die Doggerbank, die größte Sandbank in der Nordsee, wo täglich Grundschleppnetzfischerei stattfinde. "Wir haben kein Regulierungsdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit", konstatierte Ziebarth.
Damit Menschen sich für Klimaschutz einsetzen, müsse man sie emotional erreichen, befand Stefan Rahmstorf. Die Wissenschaft sei dazu da, das Thema intellektuell aufzuarbeiten, aber auch Künstler sollten sich dieser Thematik annehmen und so versuchen, die Herzen der Menschen zu erreichen. Als Beispiel für Emotionalisierung wies Rahmstorf auf die Klimabewegung "Fridays for Future" hin. Die menschengemachte Klimaerwärmung sei seit 1990 der allgemeine Wissensstand gewesen – aber jahrelang sei wenig passiert. Dann kamen die Kundgebungen von "Fridays for Future". Allein die wissenschaftlichen Fakten reichten auf keinen Fall aus, um politische Veränderungen zu bewirken, sagte Rahmstorf.
Klimaschutz mehr Chance als Verzicht
Gegen Ende der Veranstaltung stand die Frage im Raum, was der Einzelne bewirken könne. Wenig – und gleichzeitig viel, so könnte das Fazit lauten. "Unser CO2-Ausstoß lässt sich über unseren Konsum regulieren", setzte Nadja Ziebarth an. Etwa im Bereich Mikroplastik sei auf Druck der Konsumenten für den Schutz der Meere eine Menge erreicht worden. Allerdings sei dies nur die halbe Wahrheit, schränkte sie ein. Die größten Emittenten seien Industriebranche wie Stahl- oder Zementindustrie. Das müsse Politik regulativ eingreifen. Insgesamt plädiere sie für eine Wende der Perspektive: Klimaschutz sei kein Verzicht, Klimaschutz müsse als Chance für unser Überleben begriffen werden. Es brauche deshalb, so Ziebarth, alternative individuelle Entscheidungen, aber auch politische Bedingungen, die in die richtige Richtung weisen.
Ergänzend zum CO2-Fußbabdruck habe jeder Einzelne nach Ansicht von Stefan Rahmstorf die Möglichkeit, über seinen individuellen "Handabdruck" zum Klimaschutz beizutragen. Rahmstorf machte zum Schluss Mut. Er verwies auf die positiven Beispiele beim Klima- und Meeresschutz und das Zeitfenster, das uns aus Sicht der Forscherinnen und Forscher noch zur Verfügung stehe: "Wir haben immer noch die Wahl, uns für eine bessere Zukunft zu entscheiden."
Bei Fragen wenden Sie sich gerne an
Hintergrund Veranstaltung "Beyond the deep blue sea - Die Meere im Klimawandel"
Der Ozean spielt eine zentrale Rolle im Klimasystem unseres Planeten und trägt maßgelblich zur Bewohnbarkeit der Erde bei. So bindet er zum Beispiel rund 30 Prozent des durch menschliche Aktivitäten produzierten CO2s. Durch den Klimawandel steigt aber die durchschnittliche Wassertemperatur, der gelöste Sauerstoff im Wasser nimmt ab – sogenannte Todeszonen in den Weltmeeren dehnen sich immer weiter aus. Eine Besorgnis erregende Entwicklung mit massiven Einflüssen auf Küsten und marine Ökosysteme. Obwohl dies hinlänglich bekannt ist, stehen bisher nur 8 Prozent der Meeresfläche unter Schutz, bis 2030 sollen es, laut eines UN-Beschlusses im Dezember 2022, immerhin 30 Prozent werden.
Fehlt es an Sensibilisierung für und Wissen über die Ökosystem- und Klimadienstleistungen des Ozeans? Könnten verbesserte Ozeanbeobachtungssysteme helfen, die menschengemachten Veränderungen in den Meeren zu verstehen? Was muss passieren, damit Verwundbarkeit, aber auch Potenzial und Widerstandsfähigkeit dieses Ökosystems erkannt und die Weltmeere nachhaltig geschützt werden?