Wissenschaftler:innen seien zuerst einmal Menschen, nahm Axel Gelfert seinen Berufsstand in Schutz, die wie andere Menschen auch gewisse normative Vorstellungen hätten. "Das beste Korrektiv dafür ist die transparente Diskussion!", betonte Dr. Lena Janys, Juniorprofessorin für Ökonometrie am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Bonn. Nur der Austausch könne Verzerrungen der eigenen Annahmen entgegenwirken, mit denen jede:r Wissenschaftler:in sich einem Problem nähere. Janys forderte folglich maximale Transparenz hinsichtlich der Parameter und Annahmen, die Modellierende gewählt und getroffen haben. "Intransparenz macht natürlich weniger angreifbar", sagte sie. "Aber wo kommen wir denn hin in einer Welt der intransparenten, nebulösen Annahmen?"
In der offenen Diskussion könne man sich dagegen auch auf die Eitelkeit der Wissenschaftler:innen verlassen, fügte Janys mit einem kleinen Augenzwinkern hinzu. Sie stellten ihre jeweiligen Ansätze gegenseitig auf einen harten Prüfstand. In der Pandemie allerdings habe manche:r Wissenschaftler:in, die es sonst nur gewohnt seien, im engen Kreis fachverwandter Expert:innen zu diskutieren, "sich plötzlich mit einem überdimensionalen Interesse für ihr Forschungsthema konfrontiert gesehen". Auf den Anspruch, Methoden und Ergebnisse einem fachfremden Publikum verständlich zu erklären und Entscheidungshilfe zu leisten, seien die meisten Wissenschaftler:innen nicht vorbereitet. Für vielversprechend hält Janys in dieser Hinsicht die Einrichtung wissenschaftlicher Beiräte in der Politik, wo Wissenschaftler:innen und Politiker:innen dann auch eine gemeinsame Kommunikationsstrategie entwickeln. "Sie ermöglichen einen offeneren Diskurs und Vertrauensbildung in politische Entscheidungen."
Antworten aus dem Kollektiv
Philosoph Axel Gelfert gab noch zu bedenken, dass bei der Frage nach der Objektivität der Wissenschaft ein wichtiger Aspekt oft vernachlässigt werde. "Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn ist ein kollektiver Prozess. Er vollzieht sich innerhalb der Standards der Disziplinen, und eine Einzelperson kann die wissenschaftliche Sicht nicht objektiv wiedergeben."
Die Personalisierung in der Medienkultur ignoriere diese Tatsache. Gelfert hatte keine schnelle Lösung des Problems anzubieten: "Wen sollen wir denn in die Talkshow einladen, die ganze Leopoldina?", fragte er. Auch ein einzelnes wissenschaftliches Modell sei nicht in der Lage, die eine richtige Antwort zu geben, es gebe immer ein Ensemble von Modellen zu beachten. "Wir müssen mehr Wege finden, wissenschaftliche Erkenntnisse zu aggregieren", meint Gelfert. "Dafür ist das Intergovernmental Panel on Climate Change ein gutes Beispiel, das sein gesammeltes Wissen in den regelmäßigen Berichten bündelt." Und: Wissenschaftliche Erkenntnisse, die aus Modellen gewonnen werden, müssten eingebettet werden in gesellschaftliche Kontexte, angereichert mit Vorstellungskraft und menschlichen Szenarien.