Globale Gesundheit in Zeiten großer Mobilität
Start für 15 interkontinentale Forschungsteams in der Ausschreibung "Mobility – Global Medicine and Health Research". Ein Gespräch zu ersten Erfahrungen mit einem Förderangebot, das durch Corona ungewollte Aktualität erhält.
Ein beachtliches Echo hatte das gemeinsam mit den Partnerstiftungen Fundación La Caixa (Spanien), Novo Nordisk Fonden (Dänemark) und Wellcome Trust (Großbritannien) aufgelegte Förderangebot zu globalen Gesundheitsthemen. 82 Projektteams bewarben sich in der ersten Runde, 15 von ihnen wurden von einem internationalen Gutachtergremium ausgewählt und erhalten sogenannte Preparatory Grants.
Eine der Voraussetzungen in der Ausschreibung Mobility – Global Medicine and Health Research: In den Projekten sollen Forscherinnen und Forscher aus Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen in symmetrischen Partnerschaften mit Teams aus Ländern mit hohem Einkommen arbeiten können. Die Bandbreite der Themen reicht von der Behandlung von mentalen und körperlichen Belastungen von Müttern auf der Flucht bis zur Forschung zum Zusammenhang zwischen Choleraepidemien und Landflucht, die durch Umweltkatastrophen ausgelöst wird.
Wie sie die aktuelle Ausschreibung erlebt haben, schildern im Gespräch Cora Schaffert-Ziegenbalg und Selahattin Danisman, die in der VolkswagenStiftung dieses Förderangebot betreuen.
Als im Januar 2020 die Ausschreibung veröffentlicht wurde, war eine weltumspannende Pandemie noch kein Thema, zur Deadline im April aber schon. Hat Corona die Sicht auf das Thema Mobilität und globale Gesundheit verändert? Spielte COVID-19 in den ersten Anträgen eine Rolle?
Danisman: Leider sind weltumspannende Pandemien ja nicht erst seit Corona ein Thema. In der jüngeren Vergangenheit sah man zum Beispiel beim Zika-Virus oder der so genannten Schweinegrippe, was für Herausforderungen durch die hohe Mobilität von Menschen in Kombination mit Infektionskrankheiten entstehen können. Den meisten Forschenden auf dem Gebiet war klar, dass die nächste Pandemie irgendwann kommen würde. Daher hat Corona die Sicht auf das Thema nicht geändert, sondern deutlich unterstrichen, wie wichtig Forschung und die Entwicklung von Lösungsvorschlägen sind.
Schaffert-Ziegenbalg: Wir waren allerdings sehr froh, dass wir gerade zu diesem Zeitpunkt die Ausschreibung veröffentlicht hatten. Damit bestand schnell ein Angebot für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich mit der COVID-19 Pandemie auch unter dem Blickwinkel "Mobilität" zu beschäftigen. Es war im Frühjahr eines der ganz wenigen Programme, in der die Pandemie aus einer globalen Perspektive betrachtet werden konnte. Und ja, ungefähr ein Viertel der Anträge für die Preparatory Grants beschäftigte sich direkt mit COVID-19: oft interdisziplinär, zwischen den Lebens- und Sozial- oder Geisteswissenschaften. Für uns wird es spannend sein zu sehen, welche dieser Vorhaben sich im zweiten Schritt, also nach Einreichung des Vollantrags, durchsetzen.
Und jenseits der COVID-19-Thematik?
Danisman: Wir möchten das Thema Mobilität und Globale Gesundheit nicht nur aus der Sicht der aktuellen Pandemie oder der Infektionsbiologie betrachten, auch nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Abwehr von Krankheiten, die uns im Globalen Norden Sorgen bereiten. Binnenflüchtlinge und Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, leiden häufig auch unter großen seelischen Belastungen. Genauso werden nicht-übertragbare Krankheiten wie Diabetes oder Krebs bei Menschen auf der Flucht weniger häufig erkannt oder behandelt, was langfristig natürlich zu weit größeren Problemen führt. Und dann gibt es auch viele Krankheiten, die uns in Europa nicht oder noch nicht betreffen, für die wir aber dringend Lösungsideen brauchen. Da fallen mir gleich mehrere sogenannte Neglected Tropical Diseases ein. Global Health und Mobility sind ein weites Feld, und die Anträge, die wir in dieser Ausschreibung erhalten haben, spiegeln dies auch sehr gut wider.
"Mobility" sieht besondere Konstellationen für die Kooperation vor. Wie ist das Echo aus der Community darauf, und wie wird die Chance der "Preparatory Grants" gesehen?
Schaffert-Ziegenbalg: Wir möchten ja, dass Nord-Süd-Kooperationen deutlich mehr auf Augenhöhe stattfinden und dass Süd-Süd-Kooperationen gestärkt werden. Forschung zu bestimmten Themen sollte in Zukunft von denjenigen Ländern ausgehen und durchgeführt werden, die von diesen Themen betroffen sind.
Das Echo der Community zu den von uns erwarteten Konstellationen ist positiv. Viele Forschende hierzulande, die mit Institutionen aus dem Globalen Süden kooperieren, sehen schon länger, wie notwendig es ist, die Kapazitäten vor Ort zu stärken und wie sinnvoll es ist, international als gleichwertige Partner und Partnerinnen zusammenzuarbeiten. Sie freuen sich, dass wir als unabhängige Stiftung die Möglichkeit haben, auch die Kolleginnen und Kollegen im Globalen Süden angemessen zu finanzieren.
Von den Forschenden dort wird diese Art der Zusammenarbeit natürlich auch sehr positiv gesehen. Für sie scheint es zudem besonders interessant zu sein, die unterschiedlichen Perspektiven aus Ländern mit mittlerem oder geringen Einkommen kennenzulernen und in ihre Forschung einbeziehen zu können. Die Vorbereitungsmittel bieten allen die Chance, sich intensiv auszutauschen und gemeinschaftlich einen Vollantrag zu erarbeiten. Weil diese Vorbereitungsphase acht Monate umfasst, können in einigen Projekten erste kleine Pilotstudien realisiert werden. Auch das wird sehr begrüßt.
Danisman: Wir möchten auf jeden Fall sogenannte "Helicopter Science" vermeiden: also Forschende aus Europa oder den USA, die irgendwo einreisen, Daten sammeln und dann wieder wegfliegen, um ihre Forschung zu Hause zu publizieren – und diejenigen, über deren Probleme geforscht wurde, haben nichts davon. In Expertengesprächen im Vorfeld der Ausschreibung wurde zudem nachdrücklich angemahnt, auch lokale Infrastrukturen, NGOs und Entscheidungsträger in die Forschung mit einzubeziehen. Das wurde glücklicherweise von vielen Antragstellenden aufgegriffen.
Hat die erste Antragsrunde Ihre Erwartungen erfüllt? Wovon würden Sie sich mehr wünschen?
Schaffert-Ziegenbalg: Wir sind sehr zufrieden. Viele Skizzen konnten durch die Einbindung auch nicht-akademischer Partner aus dem Globalen Süden und durch ihre interdisziplinären Ansätze überzeugen. Erfreulich ist auch, dass öfter drei oder mehr Weltregionen einbezogen wurden. Für den weiteren Verlauf wünschen wir uns, dass in den Projekten eine wirklich symmetrische Partnerschaft realisiert wird und der Mehrwert der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen den Lebens-, Sozial- und Geisteswissenschaften stärker betont wird. Auch die Kooperation mit den lokalen Stakeholdern in den beteiligten Ländern sollte in den Vollanträgen deutlicher herausgearbeitet werden. Und last but not least sollten sich die Antragstellenden in jedem Fall Gedanken zu ethischen und datenschutzrechtlichen Aspekten ihrer Vorhaben gemacht haben.
Bei "Mobility" haben sich vier europäische Stiftungen zusammengetan. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit?
Schaffert-Ziegenbalg: Als wirkliche Partnerschaft! Bei dieser Ausschreibung hat Novo Nordisk aus Dänemark die Federführung übernommen, da ergeben sich für uns spannende Einblicke – auch bei den anderen Partnern. Was etwa Begutachtungsprozesse, die Gestaltung von Informationen für die Antragstellung, die virtuelle Oberfläche von Antragsportalen und die Kommunikation mit den Begutachtenden angeht, können wir alle voneinander profitieren. Absprachen laufen problemlos und wir finden schnell eine Lösung, mit der am Ende alle zufrieden sind. Wir hoffen sehr darauf, unsere Kolleginnen und Kollegen vom Wellcome Trust, der "la Caixa" und der Novo Nordisk Foundation im Herbst 2021 wieder persönlich treffen zu können, wenn in London die Präsentationen zu den Hauptanträgen stattfinden sollen.
Und wissen Sie schon, was nach der Bewilligung von Full Grants geschieht? Gibt es eine zweite Runde?
Danisman: Wir werden erst einmal abwarten, bis die gemeinsame Begutachtung der Vollanträge stattgefunden hat, und dann werden wir sowohl intern als auch mit den Partnerstiftungen diskutieren, was wir gemeinsam zum Thema Global Health weiterhin auf die Beine stellen wollen. Das könnte wieder Mobilität zum Thema haben, muss es aber nicht. In puncto Globaler Gesundheit gibt es ja – leider – genügend Herausforderungen, die von Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam und in der Zusammenarbeit zwischen reichen und weniger reichen Ländern gemeistert werden müssen.