Paradoxe Partizipation - drei Herausforderungen gelingender Transdisziplinarität
#TransdisziplinaritätFür unseren Themenschwerpunkt "Transdisziplinäre Forschung" hat der Soziologe Andreas Bischof seine Sicht auf die Herausforderungen gelingender Transdisziplinarität zusammengefasst.
Die traditionelle Vorstellung von Wissenschaft als einer reinen Expertenaktivität, bei der Forscher:innen in isolierten Laboren arbeiten und ihre Ergebnisse nur einem ausgewählten Kreis präsentieren, hat sich gewandelt. Die Förderung von Maßnahmen zur Öffnung des Wissenschaftssystems für mehr Teilhabe durch Nicht-Wissenschaftler:innen scheint nicht mehr rechtfertigungsbedürftig zu sein. Die Ansicht, dass Wissenschaft selbst ein aktiver Teil von Gesellschaft ist — und vielfältig mit anderen Bereichen verwoben, ist allgemein anerkannt.
Allerdings produziert diese Öffnung des Wissenschaftssystems in mehrfacher Hinsicht Paradoxien, die sich so zwar in Diskussionen, Interessenkonflikten, Handlungszwängen oder strukturellen Herausforderungen bei der Umsetzung zeigen, aber selten Teil der offiziellen Darstellung von Partizipation in der Wissenschaft werden. Dabei müssen diese inneren Widersprüche anerkannt und besprochen werden, um mehr Teilhabe an wissenschaftlichen Prozessen, aber auch mehr Teilhabe wissenschaftlicher Arbeit an gesellschaftlichen Herausforderungen zu ermöglichen.
1Transdisziplinarität als
Machtfrage
Auf der Ebene von gesellschaftlichen Teilbereichen ist die Vorstellung, dass ein System wie die Wissenschaft sich von innen heraus öffnet und seine bisherigen Grenzziehungen infrage stellt, alles andere als selbstverständlich. Neue Akteursgruppen zu integrieren ist ein anschauliches und wünschenswertes Ziel, stellt aber automatisch zentrale Strukturfragen nach Zugang, Macht und Verteilung neu.
Diese Fragen müssen in einem entsprechenden Transformationsprozess auch offen diskutiert werden — insbesondere wenn es um Teilhabe geht. Denn gelingende Transdisziplinarität braucht wie jeder kooperative Prozess klare Regeln, gemeinsam definierte Ziele, geteiltes Rollenverständnis und gegenseitiges Vertrauen. Transdisziplinarität erfordert zumindest teilweise den freiwilligen Verzicht auf Kontrolle und Entscheidungsmacht. In den Niederlanden beispielsweise wird über die Einrichtung größerer Förderlinien aus öffentlichen Geldern auch mit Bürgerbeteiligung entschieden, was unter deutschen Wissenschaftsorganisationen meiner Erfahrung nach bislang keine Beifallsstürme ausgelöst hat.
Außerdem kommt die Forderung nach Transdisziplinarität in der Regel nicht ohne das Versprechen von Lösungen aus: Wissenschaftliche Ergebnisse und Prozesse sollen durch Partizipation besser, wirksamer, angemessener oder gerechter werden. In dieser Aussicht auf Lösung liegen große Chancen für die Transdisziplinarität, aber auch Risiken, denn es gibt verschiedene Ansichten darüber, ob partizipative und transdisziplinäre Ansätze für die Wissenschaft eher Mittel oder eher Zweck sein sollen.
2Diversität von Transdisziplinarität und Wissenschaft
Das bringt mich zur Vielfalt der Bemühungen und Zielsetzungen, die zum Wandel zu mehr Partizipation in der Wissenschaft beitragen. In den vergangenen 20 Jahren hat diese Vielheit noch einmal einen besonders anschaulichen Schub erhalten, der sich in folgender Auswahl an aktuellen Begriffen, Communities und Paradigmen zur Partizipation in der Wissenschaft zeigt: Co-Creation und Co-Design, Responsible Research and Innovation, Citizen Science, Public History, Public Engagement, Living Labs, Reallabore, partizipative Wissenschaftskommunikation, transdisziplinäre Forschung, neue Transferwege, soziale Innovationen, Open Innovation und Open Science.
Schon die Vielzahl der Begriffe dieser unvollständigen Aufzählung lässt erahnen, dass diese teils auf ganz unterschiedlichen Methoden, Konzepten von Forschung und Selbstverständnissen beruhen — und zudem mindestens mittelbar auch in einer gewissen Konkurrenz stehen und sowohl in Abgrenzung als auch in Kooperation aufeinander Bezug nehmen. Obwohl sich das Kollektivsingular-Paar "die Wissenschaft" und "die Gesellschaft" wohl in jeder Strategie oder Einleitung zu Transdisziplinarität findet, sind weder Wissenschaft noch Gesellschaft gleichförmig, sondern heterogen und dynamisch und oft auch in Konflikten.
Daraus ergibt sich die einfache Folgefrage an jede Maßnahme zur Erhöhung der Partizipation an und von Wissenschaft: Welche und wessen Teilhabe und welcher Aspekt von Wissenschaft sind hier genau gemeint, und welche Implikationen gehen damit einher?
3Transdisziplinarität als Modus oder Spezialgebiet?
Denn es gibt unterschiedliche Positionen darüber, ob Partizipation ein Aspekt prinzipiell jeder Aktivität des Wissenschaftssystems sein sollte oder eher ein eigener Bereich innerhalb dessen. Das ist erwartbar und bedarf Aushandlungen. Für diejenigen, die transdisziplinär arbeiten, führt das aber zu einer Reihe von praktischen Problemen: Forschende finden sich häufig in einem Ziel- und Handlungskonflikt, wenn sie transdisziplinär arbeiten wollen. Einerseits wird von ihnen erwartet, dass sie viel und schnell wissenschaftlichen Output produzieren, andererseits wollen sie gesellschaftliche Wirkung erzielen.
Diese Anforderungen sind nicht immer miteinander vereinbar und erfordern oft schwierige Abwägungen. Deswegen entwickeln sich bereits intermediäre Rollenbilder, z.B. sogenannte "Integration Experts" oder "Public Engagement Officers". Sie sollen innerhalb von wissenschaftlichen Organisationen eine Schnittstellenfunktion einnehmen und Kompetenzen mitbringen, um den Partizipationsprozess zu unterstützen und zu begleiten.
Es wird spannend sein zu beobachten, ob neue Rollen wie die "Integration Experts" die notwendige kommunikative und emotionale Interaktionsarbeit für Transdisziplinarität leisten können werden, ohne dass dies eine Zusatzarbeit mit Risiken für den Karriereweg bleibt.